Der Gärtner von Otschakow
dass ich anständig bin. Ich fange ein neues Leben an. Hier bleibe ich jetzt endgültig.«
»Das heißt, Sie leben dann bei uns?«
Stepan lächelte. »Nein, ich habe genug in Schuppen geschlafen. Ich kaufe ein Haus. Geld ist jetzt ausreichend da. Und du wolltest doch ein Motorrad…«
»Im Frühling«, winkte Igor ab. »Jetzt hat das keinen Sinn…«
»Ja, im Winter kommst du mit dem Motorrad nicht weit«, stimmte Stepan zu.
Gedanken an das Motorrad gingen Igor nun eine Weile durch den Kopf, lenkten ihn aber nicht von all dem anderen Wichtigen ab. Auch die hundert Dollar vergaß er nicht einzustecken, um die Schuld bei seinem Freund zu begleichen.
Mit dem Kleinbus hatte er Glück und war, wie sich zeigte, genau der letzte Fahrgast, der den Bus auf den Weg brachte. Diesmal wurde die Reise nicht von Radio Chanson begleitet, aber das beachtete Igor gar nicht. Im Bus war ihm das Denken leicht und angenehm. Zuerst dachte er daran, wie er im Frühling das Motorrad kaufen würde, dann sprangen seine Gedanken weiter zum Fotografen und seiner Frau.
Der Fotograf empfing Igor mit einem Lächeln und bot dem Besucher überraschend Kaffee mit Kognak an. Es wäre dumm gewesen, solche Gastfreundschaft abzulehnen. Igor setzte sich in den weichen Ledersessel und sah hinauf zu den [197] Fotografien, die mit kleinen bunten Klammern an der Nylonschnur bei dem schwarzen Schirm hingen und trockneten. Aber das waren Porträts von irgendjemandem.
»Meine Frau ist zu meiner Schwiegermutter gefahren«, hörte Igor die Stimme des Fotografen hinter sich.
Der stellte ein Tablett mit einem Paar Kaffeetassen, zwei Kognakgläsern und einer Flasche Hennessy auf den Sofatisch, goss Kognak in die Gläser und holte aus der Küche ein Kupferkännchen mit langem Stiel. Der Kaffee, der aus dem Kännchen in die Tassen rann, kam Igor ungewohnt dickflüssig vor.
Bevor Igor der Fotograf sich in den freien Sessel setzte, brachte er fünf große Umschläge und legte sie auf den Tisch.
»Sie beginnen mich zu interessieren«, sagte er, griff nach einem Kognakglas und lud Igor mit dem Blick ein, seinem Beispiel zu folgen.
Igor hob den Kognak an die Nase und schnupperte. Ein ungemein edler Duft, verglichen vor allem mit dem des gestrigen Selbstgebrannten, auch wenn der keineswegs schlecht gewesen war! Er lächelte bei der Erinnerung an den letzten Abend.
»Diese Filme…« Der Besitzer des Fotostudios nippte an seinem Kognak. »Ich bin doch Fachmann und weiß alles übers Fotografieren. Na, fast alles! Aber hier… Ich verstehe nicht, wie Sie das machen! Sie nehmen mit alten Filmen und auf alt getrimmt auf, ja?«
»Was meinen Sie?« Igor starrte den Fotografen an.
»Es interessiert mich rein professionell. Würde man mir solche Bilder auf dem Computerbildschirm zeigen, würde ich sagen: geniale Arbeit mit Photoshop! Aber Sie haben mir [198] verknipste Filme gebracht, auf denen alles in der Vergangenheit stattfindet oder genial auf Sowjet-Retro gemacht ist, Ausstattung, Kostüme, und Sie selbst sind unter den Personen! Vielleicht stammen die Bilder vom Set irgendeiner Retro-Serie, à la Likvidazija ? Arbeiten Sie beim Film?«
Igor schüttelte den Kopf und lächelte.
Der Fotograf trank seinen Kaffee aus und füllte mehr Kognak in die Gläser. Dann schob er die Umschläge mit den Fotografien näher zu seinem Kunden. Igor ging die Fotos aus einem Umschlag durch. Er sah sich selbst vor dem Stand der roten Walja. Sah, wie sie den Fisch in die Zeitung wickelte. Sah, wie irgendein Mann, der hinter seinem, Igors, Rücken stand, Walja durchdringend anstarrte.
»Mit dem Material könnte man eine ausgezeichnete und originelle Fotoausstellung machen.« Wieder sah der Fotograf, freundlich lächelnd, seinen Kunden an. »Den Kunstgriff kann man in der Werbung einsetzen… Ich denke, Sie würden nicht schlecht verdienen und sich damit ins Geschäft bringen! Sie sind ein Mensch mit Ambitionen, nehme ich an!«
Igor lachte, als er die Vermutung des Fotografen hörte. ›Ich? Mit Ambitionen?‹, dachte er fröhlich.
»Es ist nur ein Hobby«, sagte er nach einer Weile und versuchte, die freundliche Atmosphäre am Sofatisch zu erhalten. »Vielleicht fotografiere ich noch etwas weiter, und dann werden wir sehen!«
»Mit was für einer Kamera nehmen Sie auf?«
Die Frage traf Igor unerwartet. »Eine alte«, antwortete er dann bloß.
Die Worte beflügelten den Besitzer des Studios nur noch [199] mehr. »Die nächsten Filme kann ich Ihnen kostenlos entwickeln und
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