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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Augenblick erstaunlich real schien, dann wieder zu einem schiefen Lächeln reizte, [235] so albern und kindisch kam sie ihm vor. Na gut, Zentimeter an seinem Kopf war ein scharfes Messer vorbeigeflogen. Er hatte das matte, böse, gefährliche Blitzen des Stahls gesehen. Aber in Wirklichkeit war er doch noch nicht geboren! Das Messer flog an einem Herbstabend des Jahres 1957 an seinem Kopf vorbei! Also, töten konnte dieses Messer Igor gar nicht! Oder doch?!
    Igor strich sich mit der linken Hand übers Hemd und spürte sofort die nasse Kälte. Dieses Wasser, es war doch auch aus dem Jahr 1957? Und es war wirklich, sonst wäre er jetzt trocken, und ihm wäre viel angenehmer zumute! Also war auch das Messer völlig real!
    Am Zaun von Waljas Nachbarhaus sah Igor neben dem Gartentor eine kleine Bank. Er ging hin, setzte sich, zog die Stiefel aus und machte sich daran, das Wasser aus ihnen auszuleeren. Dann zog er sie wieder an.
    Nichts ringsum lenkte Igor von seinen Gedanken ab. Die Stadt schlief. Und die Gedanken wurden deutlicher, als würde sie jemand in seinem Kopf mit großen Druckbuchstaben schreiben. Er erinnerte sich an die Angst, die Walja dazu gebracht hatte, sich hinzukauern. Er hatte nicht dieselbe Angst verspürt, Waljas Angst war anders, als wüsste sie genau, wovor sie Angst haben musste, und fürchtete es mit aller Kraft. Da hatte ihre Angst sich auch auf ihn übertragen, seine eigene Angst genährt und ihr eine Richtung gegeben. Eben diese Angst hatte auf den Abzug der Pistole gedrückt, auch wenn die Pistole gar nicht hätte losgehen dürfen! Doch wenn sie nicht losgegangen wäre, dann… Schrecklich sich vorzustellen, was diese beiden mit ihnen gemacht hätten. Aber der Schuss war gefallen, und einer, der [236] Mann, der das Messer geworfen hatte, war auf dem Pfad liegen geblieben…
    Igor spulte den Film dieses Abends noch einmal zurück. Er dachte wieder an Wanja Samochins Worte, dass Fima Tschagin mit Walja etwas gehabt hatte. Wenn doch etwas zwischen ihnen gewesen war, wurde auch ihre Furcht verständlicher, und seine Wut und die Bereitschaft, zum Messer zu greifen! Und dann würde auch Walja ihre Furcht nicht so schnell loswerden, und Fima Tschagin würde die Wut erst verlassen, wenn die Wut die Furcht getötet hätte, wenn etwas Schreckliches passierte. Etwas Schreckliches und leicht Erklärliches.
    Igor seufzte und sah sich wieder um. Plötzlich stellte er sich vor, dass Fima sich irgendwo in der Nähe mit dem Messer in der Hand versteckte. Und wartete, bis er, Igor, von dieser Bank aufstand, fortging und Waljas Haus ohne Aufsicht und sie selbst schutzlos zurückließ.
    Der Gedanke alarmierte Igor. Sollte er hier bis zum Sonnenaufgang sitzen und Waljas Haus bewachen?
    Ein leichtes Rascheln drang vom gegenüberliegenden Zaun herüber. Igor beugte sich vor, starrte in die Dunkelheit. Und erblickte zwei grüne Katzenaugen, die auf ihn gerichtet waren. Irgendwo erklang Hundegebell. Die Katzenaugen verschwanden.
    »Ich kann sie nicht bewachen«, flüsterte Igor sich zu und sah hinüber zu Waljas Haus. »Sie hat einen Mann, das ist seine Pflicht…«
    Er stand von der Bank auf, konnte sich aber nicht vom Fleck rühren. Er setzte sich wieder.
    ›Ich kann hier nichts ändern oder aufhalten‹, überlegte [237] er. ›Ich habe nichts gemein mit dieser Stadt und ihren Bewohnern. Sie leben in ihrer Zeit, und ich in meiner…«
    Der Gedanke klang nicht überzeugend. Erst vor kurzem, als er und Stepan hierhergekommen waren und nachts sein Haus besucht hatten, hatte Tschagin noch in der Erinnerung der Otschakower gelebt. Die Zeiten werden eins, denn die Gegenwart ist aus der kürzlichen Vergangenheit gewebt, und solange die Menschen sich an die Vergangenheit erinnern, ist sie da, beobachtet einen und bestimmt, was zu tun ist.
    ›Ich muss Tschagin aufhalten‹, dachte Igor jetzt und spürte, wie die Furcht sich wieder irgendwo verkroch und ihn in Ruhe ließ. ›Ihm Geld geben… erklären, dass Walja und ich…‹
    An diesem Punkt brach der Gedanke ab, weil von hier an statt Wörtern Fragezeichen erschienen. Was wollte er Tschagin erklären? Dass mit ihm und Walja…? Nichts war? Etwas war? Friede, Freude, Grundeln und Flundern? Oder sollte er sagen, dass Walja sehr krank war, sogar ansteckend, er ihr Medikamente besorgt hatte und sie deshalb nachts im Meer gebadet und Sekt mit Schokolade getrunken hatten?! Und weiter war nichts zwischen ihnen und konnte auch nichts sein?
    ›Man muss Tschagin aufhalten.‹

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