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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Protokoll aufsetzen…«
    Der Milizionär, ein Unterleutnant, war so jung, dass Igor ohne die Uniform gedacht hätte, vor seinem Bett stünde ein Schüler aus den höheren Klassen.
    Aber auch die Uniform flößte Igor nicht viel Respekt ein. Auf alle Fragen, die der Milizionär eifrig stellte, war seine Antwort ein abschlägiges: »Hab ich nicht gesehen«, »Hab ich nicht bemerkt«, »Weiß ich nicht«.
    »Aber das gibt es doch nicht, dass ein Mensch überhaupt keine Feinde hat, mit niemandem Streit hat, und dann stößt man ihm ein Messer in die Rippen!«, rief der von der Fruchtlosigkeit seines Gesprächs mit Igor erschöpfte Ermittler.
    »Anscheinend doch«, widersprach Igor ihm ruhig. »Vielleicht hat man mich mit jemandem verwechselt. Es war ja dunkel!«
    [259] »Ja, um die Beleuchtung ist es bei uns ganz schlecht bestellt«, stimmte der Milizionär ihm zu. »Gut, ich nehme die Klinge mit. Wir legen sie zu den Beweisstücken.«
    Nachdem er angekündigt hatte, noch einmal vorbeizukommen, ging der Milizionär. Igor döste ein, während er auf die unter dem Verband schmerzende Wunde lauschte. Draußen fuhr ein Auto vorbei, aus dessen offenem Fenster der jüngste Hit der Gruppe Elsas Ozean die Straße entlangzog. »Komm, behalten wir mehr für uns« erklang auf Ukrainisch die heisere, süßlich-gereizte Stimme von Wakartschuk, sie flog durch die offene Lüftungsklappe ins Zimmer und begleitete Igor hinab in den Schlaf.

23
    Um sechs Uhr morgens weckte Igor und Elena Andrejewna der Arzt vom Rettungsdienst. Er entschuldigte sich, dass er am Vorabend nicht gekommen war, erklärte nichts, wechselte sofort den Verband, lächelte dann ein Lächeln, das Geld erwartete, versprach, nachdem er es erhalten hatte, abends wiederzukommen, und verschwand. Er nahm auch die Emailleschale mit.
    Igor fühlte sich nach dem morgendlichen Verbandswechsel ein wenig besser. Er versuchte, sich im Bett aufzusetzen, und erkannte im selben Augenblick, dass er seine Kräfte überschätzt hatte.
    Er war durstig. Und er bat seine Mutter, ihm sein Handy zu geben. Endlich konnte er sich die verpassten Anrufe ansehen. Fast alle stammten von Koljan. Zwei weitere von einer [260] unbekannten Nummer. Igor rief seinen verprügelten Freund an und erwartete, dass eine Schwester abnehmen würde, aber nein, Koljans eigene, verschlafene Stimme antwortete.
    »Hast du angerufen?«, fragte Igor.
    »Ja«, brummte Koljan.
    »Bist du noch im Krankenhaus?«
    »Heute darf ich nach Hause.«
    »Hast du keine Angst?«
    »Nein, ist schon alles in Ordnung. Ich habe mit dem Mann geredet… Erzähl ich später. Und wie geht es dir?«
    »So schlecht es nur gehen kann«, seufzte Igor. »Dich und mich, uns hat es fast parallel erwischt.«
    »Was, haben sie dich verprügelt?«
    »Schlimmer. Sie haben zugestochen und versucht, mich zu vergiften.«
    »Na, Donnerwetter! Kannst du Besuch empfangen?«
    »Ich bin zu Hause.«
    »Gut, wenn ich heimkomme, rufe ich dich an!«, versprach Koljan.
    Die Mutter brachte Igor Rührei mit Speck ins Zimmer, stellte den Teller auf einen Hocker und schob den improvisierten Tisch ans Bett, damit er bequemer essen konnte. Auch eine Tasse Tee brachte sie.
    »Ich gehe zur Nachbarin«, teilte sie ihm im Hinausgehen mit. Und schloss sorgsam hinter sich die Tür.
    Igor drehte sich auf die rechte Seite, nahm mit der linken Hand die Gabel und lud ein wenig Rührei darauf. Er kaute und schnitt eine Grimasse vor Schmerz und Unbequemlichkeit. Er überlegte, dass man das Kopfkissen ans Fußende packen müsste, dann könnte er auf der linken, [261] gesunden Seite liegen und ordentlich mit der rechten Hand essen.
    Nach dem Frühstück ließ er sich wieder auf den Rücken sinken und erholte sich.
    Es klingelte an der Tür.
    ›Wer kann das sein?‹, dachte Igor und hob den Kopf.
    Nachdem es ein paarmal geklingelt hatte, wurde es im Haus wieder still. Aber jetzt lenkte eine Bewegung vor dem Fenster Igor ab. Er drehte sich um und sah hinter dem weißen, halbdurchsichtigen Spitzenvorhang einen Kopf.
    »Wer ist da?«, fragte er.
    »Machen Sie auf, der Ermittler!«
    »Ich kann nicht aufstehen«, sagte Igor. »Ziehen Sie etwas fester an der Tür, sie ist nicht verschlossen!«
    Aus dem Flur ertönten Schritte.
    »Wo sind Sie denn?«, fragte wieder die Stimme des jungen Ermittlers.
    »Zweite Tür rechts!«
    Der Milizionär kam herein und musterte Igor mit einem gewissen Misstrauen. Dann sah er sich um, fand einen Hocker, trug ihn vom Fenster zum Bett und setzte sich zu

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