Der Gärtner von Otschakow
dem Verletzten.
»Also, wissen Sie immer noch nicht, wer auf Sie eingestochen hat?«
»Nein.« Igor schüttelte den Kopf. »Es war dunkel, und zugestochen hat man von hinten.«
»Ich habe die halbe Nacht gelesen«, gestand der Ermittler unzufrieden, vielleicht auch nur unausgeschlafen. »Alles, was es über Messerstiche gab! Also, von hinten hätte man nicht so auf Sie einstechen können! Die Klinge wäre nach [262] unten gegangen, außerdem auch anders eingedrungen! Man hat zugestoßen, als Sie lagen oder gefallen waren!«
»Ich weiß nicht mehr«, sagte Igor weniger sicher. »Ich war betrunken. Völlig betrunken.«
»Also Sie wollen, dass ich ohne weitere Hilfe, nur mit der abgebrochenen Klinge, den finde, der zugestochen hat?«, fragte der Ermittler entrüstet.
»Nein, das will ich nicht. Sie sollen ihn nicht suchen!« Igor änderte den Ton und wurde freundlich und ein wenig schuldbewusst. »Vergessen Sie doch alles!«
»Wie, vergessen?« Der Milizionär riss die Augen auf. »Unter dem Protokoll steht die Unterschrift des Arztes vom Rettungsdienst, und meine!«
»Verlieren Sie doch dieses Protokoll«, schlug Igor vor. »Und es macht Ihnen keine Sorgen mehr.«
Der Milizionär überlegte, wiegte den Kopf hin und her, verzog die Lippen. Dann öffnete er seine Mappe, zog ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber heraus und legte das Blatt samt Mappe zu Igor auf die Matratze.
»Schreiben Sie!«, sagte er.
»Was?«
»Eine Erklärung. Ich, Soundso-soundso, wohnhaft in Soundso, habe mich im Zustand starker Alkoholvergiftung selbst schwer mit dem Küchenmesser verletzt. Unterleutnant W.I. Ignatenko führte mit mir ein Gespräch über das Übel der Trunksucht. Ansprüche an die Miliz erhebe ich keine. Datum. Unterschrift.«
Igor unterschrieb das Diktierte und hob den Blick zu dem Ermittler.
»Könnten Sie mir die Klinge zurückgeben?«, fragte er.
[263] »Wozu brauchen Sie die?«
»Zur Erinnerung.«
»Eigentlich wollte ich sie selbst behalten«, gestand der Ermittler kindlich. »Es wäre mein erster Fall…«
»Ach, bitte«, bat Igor. »Es gibt doch keinen Fall! Die Erklärung habe ich ja unterschrieben…«
»Gut«, sagte der Ermittler widerwillig. »Heute Abend bringe ich sie vorbei.«
Als die Mittagessenszeit näher rückte, unternahm Igor noch einen Versuch, sich hinzusetzen, diesmal erfolgreich. Die Wunde tat natürlich trotzdem weh, aber entweder war der Schmerz schwächer geworden, oder Igor hatte sich an ihn gewöhnt.
Nachdem er fünf Minuten gesessen hatte, legte Igor sich wieder auf den Rücken. Dann wiederholte er die Übung.
Seine Mutter kehrte zurück und brachte von der Nachbarin ein Mayonnaise-Glas mit einer Salbe von zweifelhafter gelber Farbe. Sie stellte sie auf den Nachttisch neben das Bett.
»Sag dem Arzt, dass er das auf die Wunde geben soll!«, sagte sie. »Es ist aus Kräutern und Gänsefett!«
»Volksmedizin?«, erkundigte sich Igor spöttisch.
Elena Andrejewna antwortete nicht. Sie sah ihren Sohn nur vorwurfsvoll an und verschwand.
Abends, als der Arzt kam, erschien sie wieder in Igors Zimmer und passte auf, dass man die Wunde mit ihrer Salbe einrieb. Zuerst roch der Arzt an der Salbe, dann nickte er, als hätte er sie am Geruch erkannt, und stellte keine weiteren Fragen.
Gleich nach dem Arzt sprach bei Igor wieder der [264] Ermittler vor. Er brachte die Klinge. Als der Milizionär gegangen war, schüttelte Igor sich plötzlich vor Lachen.
»Was hast du?« Elena Andrejewna sah ins Zimmer herein.
»Einfach so«, erklärte er ihr. »Auf einmal fühle ich mich wie ein Chef: Alle kommen zu mir und bringen mir etwas! Machen Verbände! So ein Zirkus!«
»Zum Begräbnis wären noch mehr gekommen!«, sagte die Mutter sarkastisch. »Siehst du, mit deiner Lebensweise hast du es schon bis ans Messer gebracht!!!«
»Was für eine Lebensweise!«, entrüstete sich Igor. »Trinke ich etwa, fixe ich, stehle ich?«
Die Mutter winkte ab, sie wollte dieses Gespräch nicht fortsetzen.
Da erschien in der Tür Stepan mit einer Tasche.
»Oh!« Igor sah ihm vergnügt entgegen. »Noch ein Besucher!«
»Ich bleibe nicht lang«, sagte der Gärtner ein wenig befangen. »Du hast doch jetzt nichts zu tun, und nichts zu tun zu haben ist schwer und schädlich. Und langweilig. Hier, ich habe dir was zu lesen gebracht!«
»Dumas, Die drei Musketiere ?«, spottete Igor.
Stepan nahm, mit unverändert ernster Miene, ein großformatiges Buch aus der Tasche, das Igor bekannt vorkam.
»Das ist das,
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