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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ausbreitete.
    Er dachte an Koljans gestrigen Besuch. Trotz seiner noch geschwollenen, erst verheilenden Lippen hatte sein Freund gelächelt und sich lebensfroh gerühmt, dass man ihn nun doch nicht umlegen würde. Der Mann, der angekündigt hatte, [268] ihn umzulegen, hatte ihm angeboten, sich auf eine für Koljan leichte Weise freizukaufen: Er sollte jemandes Computer knacken und alle Dateien und Mailwechsel samt Passwörtern kopieren.
    »Und wie viel zahlt er dir dafür?«, hatte Igor gefragt.
    »Er verzeiht mir dafür!«, hatte Koljan geantwortet.
    Sie hatten in Ruhe ein von Koljan spendiertes Fläschchen Kognak ausgetrunken und Äpfel aus dem Garten dazu gegessen, die Stepan fürsorglich gebracht hatte.
    Stepan hatte ein paarmal hereingeschaut und Koljan scharf gemustert. Beim Abschied war Koljan gern bereit gewesen, die nächsten fünf Filme zum Entwickeln in das Fotostudio in der Proresnaja zu bringen.
    Als Igors Freund fort war, klopfte der Gärtner wieder.
    »War das dieser Banker, dein Freund?«, fragte er.
    »Er ist kein Banker, sondern ein Computermann. Er arbeitet in einer Bank.«
    »Vom Alter her würde er als Mann für meine Tochter taugen«, bemerkte Stepan halb fragend.
    »Lieber nicht.« Igor sah dem Gärtner offen, freundlich und aufrichtig in die Augen. »Er verdient sich was als Hacker dazu, das ist nicht ungefährlich…«
    »Was ist das?« Stepans Gesicht hatte einen betretenen Ausdruck angenommen.
    »Er stiehlt im Internet Informationen von fremden Computern.«
    »Ein Dieb also?«, sagte Stepan erstaunt.
    »Nein, ein Hacker.«
    Stepans Blick wurde misstrauisch. »War er es, der dir sein ›Diebesehrenwort‹ gegeben hat?«
    [269] Igor lachte laut.
    Bevor er ging, erkundigte der Gärtner sich, was Igor von dem Manuskript hielt.
    »Interessant, sehr interessant«, hatte Igor gesagt und genickt, weil er das Gespräch mit Stepan nicht mit Albereien oder Streit beenden wollte.
    Stepan hatte kaum merklich gelächelt. »Da stehen ernste Dinge geschrieben, in diesem Buch!«, hatte er erklärt. »Lies dich nur gründlich ein!«
    Die Erinnerungen an den gestrigen Abend wurden von einem laut am Fenster vorbeifahrenden Lastwagen unterbrochen. Igor kehrte zu seinem Bett zurück und legte sich hin. Diese Gefangenschaft in seinem Zimmer weckte den Wunsch nach Gesellschaft. Über die Unterhaltung mit Koljan gestern war er ebenso froh gewesen wie über sein Gespräch mit dem Gärtner. Der heutige Abend zog sich jetzt sinnlos und lang dahin. Die Mutter sah fern. Der Arzt vom Rettungsdienst war gekommen und wieder gegangen, nachdem er angemerkt hatte, die Wunde verheile erstaunlich schnell.
    Igor beschloss gerade, einfach das Licht auszumachen und zu schlafen, als es klopfte und Stepan hereinsah, im neuen Anzug.
    »Igor, leih mir einen Schirm«, bat er.
    »Wohin wollen Sie denn bei diesem Wetter?«
    »Ins Café, ich habe einen angenehmen Ort gefunden.«
    »Im Flur, am Haken«, sagte ihm Igor.
    »Dort hängt ein roter, ein Frauenschirm. Bei dir habe ich einen schwarzen gesehen!«
    Da fiel Igor sein Schirm ein. »Dort«, er wies mit der Hand zum Schrank. »Oben.«
    [270] Der Gärtner nahm den Schirm, dankte und ging.
    Igor knipste das Licht aus, aber einschlafen konnte er lange nicht. Das Gedankenkarussell brachte ihm gleichzeitig Fima Tschagin ins Gedächtnis, die Klinge, die, als Andenken an Otschakow, zwischen seinen Rippen steckengeblieben war, Josip, das Buch vom Essen, das dieser Josip geschrieben hatte, und Walja mit ihrer Angst. Als ferner Nachgeschmack oder als Erinnerung kam im Mund ein leichtes Brennen auf, wie nach Fimas Selbstgebranntem.
    Unwillig erhob sich Igor, ging in die Küche und schenkte sich, ohne Licht zu machen, ein Gläschen Kognak ein. Er setzte sich an den Tisch am Fenster und trank einen Schluck.
    Ihm kam es vor, als hätte er genau um die Uhrzeit immer Kognak getrunken, bevor er die Milizuniform anzog und sich auf den nur ihm bekannten Weg in die Vergangenheit, ins Otschakow des Jahres 1957 machte. Plötzlich wurde es Igor kalt und unheimlich. Er verstand das selbst nicht recht, bis ihm klarwurde, dass er nur in Boxershorts in die Küche gekommen war. Hier stand die Lüftungsklappe offen, und draußen peitschte ein kalter, schräger Regen.
    Er trank den Kognak aus, kehrte in sein Zimmer zurück und kroch unter die Decke. Seine unruhigen Gedanken blieben jetzt bei der roten Walja hängen.
    »Gott verhüte, dass ihr was passiert«, flüsterte Igor mit geschlossenen Augen, im Liegen.

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