Der Gärtner von Otschakow
»Gott verhüte! Sonst verzeih ich ihm nicht!«
Und in diesen letzten Worten vor dem Einschlafen hörte er noch irgendeine fremde, fremdartige Härte und Wut. Als hätte nicht er das gesagt, sondern ein Schauspieler in einem blutigen Kinodrama.
[271] Morgens tönte ungewohnter Lärm durchs Haus. Etwas klirrte, Türen schlugen. Seine Mutter kam eilig ins Zimmer gelaufen, stellte einen Eimer mit Wasser ab und begann, den Boden mit einem Schrubber zu scheuern.
Igor sah ihr vom Bett aus eine Weile aufmerksam zu. Es wunderte ihn, dass sie nicht einmal in seine Richtung blickte, ihn nicht begrüßt hatte.
»Was machst du da?«, fragte er endlich.
»Es ist schmutzig im Haus«, sagte Elena Andrejewna besorgt. »Und heute kommen Gäste!«
»Was für Gäste?«
»Stepans Tochter aus Lwow. Er ist schon zum Bahnhof gefahren, sie abholen.«
Igor stand auf und zog seine Trainingshose an, fasste an die verbundene Wunde und staunte beinah, dass es nicht weh tat.
»Frühstücke du schon allein.« Die Mutter riss sich von ihrem Schrubber los und sah zu ihm.
In der Küche war es bereits sauber, nur der Boden war noch nicht getrocknet.
Igor briet sich ein Rührei und setzte sich an den Tisch. Sofort fiel ihm auf, wie klar und durchsichtig das Fenster nun wieder war. Und vor dem Fenster schien alles trocken und hell. Der Tag versprach schön zu werden.
›Heißt das etwa, dass sie dann bei uns wohnt?‹ Igor dachte plötzlich an Stepans Tochter. ›Der Vater im Schuppen, die Tochter bei uns? Originell!‹
»Hast du jetzt eine Frau?« Mit dieser Frage überrumpelte ihn seine Mutter, die in der Tür aufgetaucht war.
»Ich verstehe nicht«, sagte Igor langsam.
[272] »Eine Frau, die wahrscheinlich älter ist als du«, ergänzte Elena Andrejewna.
Hätte Igor zu dem Zeitpunkt noch Ei im Mund gehabt, hätte er sich wohl verschluckt.
»Was ist los mit dir?« Er lachte laut. »Hast du zu viele Serien gesehen?«
Die Mutter trat stumm an den Tisch und legte neben den schmutzigen Teller ein Paar von Igors Socken.
»Denkst du, ich kenne mich nicht aus im Leben?«, sagte sie listig und tippte mit dem Zeigefinger auf die gestopfte Sockenferse. »Finde dir ein junges Mädchen und heirate, dann verschwinden vielleicht auch die Grillen aus deinem Kopf! Und keiner stürzt sich mit dem Messer auf dich!«
»Aber ich…«, begann Igor, brach ab und starrte auf seine Socken. »Das war eine Bekannte. Sie hat bemerkt, dass sie löchrig waren.«
»Und du schämst dich nicht, in löchrigen Socken zu einer Frau zu gehen?!«, rief Elena Andrejewna mit einem sarkastischen Lächeln. »Ich staune über dich!«
Die Tür fiel hinter seiner Mutter ins Schloss. Fassungslos sah Igor auf seine Socken, dann schubste er sie vom Tisch und stieß sie mit dem Fuß unter die Heizung.
»Hm, hm«, brummte er ärgerlich. Und begab sich zurück in sein Zimmer.
»Zieh dir etwas möglichst Anständiges an!« Wieder war Elena Andrejewna in der Tür erschienen.
»Und wo soll sie schlafen?« Fragend starrte Igor die Mutter an.
»Ich dachte, wir legen sie hier rein.« Sie blickte auf das schon sorgfältig gemachte Bett ihres Sohnes.
[273] »Und mich in den Schuppen? Zu Stepan? Das Leben als Obdachloser üben?«
»Stepan ist kein Obdachloser«, verteidigte Elena Andrejewna den Gärtner. »Er kauft gerade ein Haus. Und du kannst auch ein paar Nächte in meinem Zimmer auf der Liege übernachten!«
»Ein Haus?!« Die Neuigkeiten dieses Morgens trafen Igor abrupt, als wäre er aus einem langen lethargischen Schlaf erwacht. »Was für ein Haus?«
Plötzlich kehrte in seiner Erinnerung die jüngste Vergangenheit zurück, als Stepan ihn gebeten hatte, sich umzuhören, ob es in Irpen zwei Häuser auf einem Grundstück zu kaufen gab.
»Ein großes Haus, Olga und ich haben es uns schon angeschaut! Ein großes, und ein zweites kleineres.«
Plötzlich merkte Igor, dass seine Mutter, die eben noch in lila Flanell-Hausschürze die Böden geschrubbt hatte, jetzt in ihrem besten Kleid vor ihm stand und sogar eine Bernsteinbrosche angesteckt hatte.
»Bist du denn schon wieder gesund?«, fragte sie und klang nun besorgt.
Igor fasste sich zum x-ten Mal an diesem Morgen an die verbundene Wunde. Die Wunde schmerzte, wenn man sie berührte, aber dieser Schmerz war dumpf und schwach.
»Geht ganz gut.« Igor zuckte die Achseln.
»Dann bitte ich dich, zieh dir was Anständiges an!«, begann die Mutter wieder. »Du hast doch da im Schrank noch den Anzug vom Schulabschluss. Du hast
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