Der Gandolfo-Anschlag - Ludlum, R: Gandolfo-Anschlag
nicht zu vergleichen mit der Bücherei von Mailand oder Venedig oder Rom war. Aber diejenigen, die Giovanni kannten, sagten, daß er jedes Buch in Padua gelesen hatte und dann in Mailand und dann in Venedig. Und als er so weit gekommen war, empfahl ihn sein Priester den Heiligen Vätern. Die Kirche war die Antwort auf Giovannis Gebet. Und so lange er viel betete — was leichter, wenn auch keineswegs weniger zeitraubend als die Arbeit auf den Feldern war —, erlaubte man ihm, mehr zu lesen, als er es je für möglich gehalten hätte.
Mit zweiundzwanzig war Giovanni Bombalini ein gesalbter Priester. Manche sagten, der belesenste Priester von ganz Rom, ein erudito fantastico . Aber Giovanni besaß nicht das angemessen strenge Gesicht eines echten vatikanischen erudito, noch eignete er sich deren Attitüde der Sicherheit in bezug auf alltägliche Wahrheiten an. Er fand immer wieder Ausnahmen in der liturgischen Geschichte und wies darauf hin (manche sagten sogar, mit einem gewissen Maß an Bosheit), daß die Schriften der Kirche ihre Kraft aus ehrlichen Widersprüchen schöpften.
Mit sechsundzwanzig war Giovanni Bombalini so etwas wie ein Stachel im großen vatikanischen Fleisch. Und das wurde durch sein gereiftes Aussehen noch verstärkt, das geradezu die Antithese zu dem hageren, akademischen Image war, das Roms eruditi so ersehnten. Er war gleichsam die Karikatur eines Bauern aus den nördlichen Distrikten. Von kleinem Wuchs, breit und wohlbeleibt, sah er aus wie ein Landarbeiter, der eher in den Ziegenställen als in den Marmorhallen der verschiedenen Collegiae des Vatikans zu Hause war. Theologische Weisheit, Freundlichkeit oder tiefer Glaube an seine Kirche waren kein Ausgleich für das Ärgernis, das sein Geist und sein Aussehen darstellten. So fand man für ihn Posten an so unwahrscheinlichen Orten wie der Goldküste, Sierra Leone, Malta und, irrtümlich, Monte Carlo. Ein erschöpfter vatikanischer Bürokrat las den Namen Montes Claros zu flüchtig und setzte Monte Carlo ein — ohne Zweifel, weil er niemals von Brasiliens
Montes Claros gehört hatte. Und das Geschick des Giovanni Bombalini wendete sich.
Denn in die Schmelzkessel der hohen Einsätze und der aufgeputschten Gefühle wanderte der einfach aussehende Priester mit dem belustigten Blick und dem sanften Humor und einem Kopf, der mit mehr Wissen vollgepackt war, als es zwölf internationale Finanzmagnaten besaßen. Er hatte an der Goldküste, in Sierra Leone und Malta wenig zu tun gehabt, und aus diesem Grund, wenn er nicht betete oder die Eingeborenen unterrichtete, seine Zeit damit verbracht, zahllose Zeitungen zu studieren und sein ohnehin schon außergewöhnliches Gedächtnis mit noch mehr Wissen vollzustopfen.
Es ist allgemein bekannt, daß Leute, die dauernd in Bewegung sind, unter hohem Risiko leben und dabei dem Alkohol nicht aus dem Wege gehen, gelegentlich geistlichen Trost brauchen. Und so begann Pater Bombalini ein paar von der Herde abgekommene Lämmer zu trösten. Und sehr zum Erstaunen dieser ersten verstreuten Lämmer fanden sie in ihm nicht so sehr einen einfachen Priester, der ihnen auftrug, Buße zu tun, sondern einen höchst amüsanten Burschen, mit dem sie sich ausführlich über fast jedes Thema unterhalten konnten — sei es nun die Situation auf dem Weltmarkt, ein historischer Präzedenzfall für zu erwartende geopolitische Ereignisse oder, in ganz besonderem Maße die gute Küche (hier bevorzugte er die eher einfachen Saucen und verschmähte die Kunst der oft zu Unrecht gelobten haute cuisine ).
Ehe zu viele Monate vergangen waren, war Pater Bombalini ein regelmäßiger Gast in vielen der größeren Hotelsuites und den großen Häusern der Côte d’Azur. Dieser ziemlich seltsam aussehende, rundliche Prälat war ein wunderbarer Erzähler, und man fühlte sich in seiner Gegenwart einfach wohl, ehe man auszog, um — mit Erfolg — seines Nächsten Weib zu begehren. Und das führte zu einer Anzahl außergewöhnlich hoher Spenden, die auf den Namen Pater Giovannis der Kirche zugingen. Mit zunehmender Häufigkeit.
Rom konnte Bombalini nicht länger übersehen. Die Verwalter der Vatikanschätze sorgten dafür.
Als der Krieg kam, hielt sich Monsignore Bombalini in verschiedenen alliierten Hauptstädten auf, wo er gelegentlich verschiedenen alliierten Armeen zugeteilt wurde. Zwei Gründe waren dafür verantwortlich. Der erste war seine mit großer Hartnäckigkeit gegenüber seinen Vorgesetzten abgegebene Erklärung, daß er
Weitere Kostenlose Bücher