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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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Deine Briefe, die bis in die Zeit vor meinem Besuch bei Dir zurückreichen. Ich habe sie gesucht, weil Sergius mit dem Briefmarkensammeln angefangen hat, obwohl sein Onkel Lenny ihm erklärt hat, Münzen wären das einzig Wahre. An Lenny erinnerst Du Dich bestimmt noch. Er ist eigentlich Sergius’ Vetter, aber wir nennen ihn »Onkel Lenny«, um ihn zu piesacken. Sergius sammelt lieber Briefmarken. Und für uns ist das viel billiger, auch wenn Lenny ihm die ganzen Penny-Sammelalben geschenkt hat. Du kannst die unglaublichsten gestempelten Marken aus aller Herren Länder sammeln und brauchst sie bloß von den Umschlägen abzulösen. Eine farbenprächtige Gratisreise um die Welt. Ich habe von Deinen Umschlägen die Ecken abgerissen und werde sie heute Vormittag für Sergius ins Wasser legen. Das wird eine tolle Überraschung: Ostdeutschland, wow. Der Eiserne Vorhang. Ich weiß nicht genau, ob ich ihm sagen soll, wo sie herkommen, zumindest noch nicht. Wenn er nachfragt, erkläre ich es ihm, aber Sergius ist nur verrückt nach den Marken, für alles andere ist er praktisch blind, und ich könnte wetten, er ignoriert die Mappe oder blättert sie nur durch, um zu kontrollieren, dass ich auch keine Marken übersehen habe. An Deinen Briefen finde ich übrigens seltsam, dass Du sie immer tippst. Du tippst sogar Deinen Namen und das Wort Dad. Das hast Du immer noch mit Rose gemeinsam, die haut auf der Schreibmaschine auch ständig Briefe raus. Ich habe sie heute Morgen alle noch einmal gelesen. Das mache ich, wenn ich allein in der Küche sitze; ich lese, trinke Kaffee und höre Radio, WBAI. Was das Schweinesystem Angela Davis wieder angetan hat, Nachrichten über El Salvador. Ein guter Sender. Den niemand hört. Später bringen sie Jazz oder Vorträge von Alan Watts. Den hab ich mal getroffen. Irgendwann steht einer von den anderen auf, oft eins der Mädchen, manchmal auch schon Stella Kim, Tommy oder Sergius. Die Typen schlafen immer länger als die Mädchen.Egal wer als erster aufwacht, ich mach ihm Frühstück. Wenn Sergius dann noch immer nicht hoch ist, muss ich ihn aufscheuchen. Er muss ja in die Schule. Sergius isst wie eine kleine alte Dame, möchte zum Frühstück jeden Tag nur Toast. Die Mädchen und die Typen wollen Eier und Speck und Pfannkuchen. Manchmal mach ich Matzenbrei, wenn ich die Zutaten bekommen kann, und da fahren sie alle voll drauf ab, und ich muss fünfzehn Kannen Kaffee kochen, und das Kind ist fertig angezogen und mümmelt seinen Toast, sitzt einfach bloß da. Macht mich fertig. Manchmal bringt Stella ihn in die Schule, wenn ich noch im Morgenmantel bin. Ich geb ihr meine letzten fünf Dollar, und sie bringt Orangensaft, ein Päckchen Zigaretten und die New York Post mit, eine Zeitung, die total den Bach runtergegangen ist, aber sie bringt ein Horoskop, was für die Times unter ihrer Würde wäre. Das erwähne ich natürlich nur als kalkulierten Affront gegen Deinen Horror in Bezug auf Astrologie.
    Wahrscheinlich verstehst Du nicht, was ich meine, wenn ich von den Leuten rede, mit denen wir zusammenwohnen. Du bist Kommunist ja nur, insofern Du in einem kommunistischen Land lebst und Deine althergebrachten marxistischen Überzeugungen vertrittst, falls die Dich überhaupt noch motivieren. Jetzt, wo ich das geschrieben habe, finde ich es absurd. Ich nehme an, Du bist immer noch in der Partei. Oder wieder. Ist das dieselbe Partei, in der Du in Amerika mit Rose zusammen warst? Wie geheimnisvoll. Also, wir leben jedenfalls in einer Kommune, eine Lebensform, mit der Du wahrscheinlich nicht sehr vertraut bist. Ehrlich gesagt, sind Tommy und ich quasi aber auch die Eltern und die anderen die Kinder, also ist es keine ganz echte Kommune, nicht wie die von den Maoisten um die Ecke an der Avenue C, wo jeden Abend Zusammenkünfte stattfinden, die sich stundenlang hinziehen und nie ein Ergebnis haben. Unsere ist ein Mittelding zwischen Kommune und Wohnheim. Als erste ist Stella oben eingezogen. Dann mussten wir noch mehr Zimmer vermieten, um die Wohnung halten zu können, denn Tommy hat mit seinen Platten schon seit Ewigkeiten kein Geld mehr verdient, undauch das Geld aus dem ACLU-Vergleich wegen der widerrechtlichen Festnahme auf öffentlichem Grund und Boden ist nur noch eine verschwommene Erinnerung. Hab ich mal erwähnt, dass ich eine von den Capitol Steps Thirteen war? Wir haben die Ärsche verklagt, aber das Geld hab ich hauptsächlich bei Pathmark gelassen und Brot, Gemüse und Hackfleisch gekauft.
    Um

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