Der Gast: Roman
zurück? Hallo? Anscheinend nicht. Ich wollte dich nur mal anrufen. Ich hatte gehofft, du würdest zurückkommen, ehe ich zur Arbeit muss. Hast du beschlossen, noch eine Nacht zu bleiben oder so? Ich vermisse dich. Sag mir Bescheid, sobald du wieder da bist, okay? Es ist jetzt Mittwochabend gegen elf. Ich liebe dich. Tschüss.«
Der Apparat piepste.
Keine weiteren Nachrichten.
Neal atmete tief durch. Dann bemerkte er, dass Sue ihn anblickte. »Ich hatte Angst, dass sie ihren Namen sagt«, erklärte er. »Dann hätte Rasputin in meinem Adressbuch nachschlagen und ihr einen Besuch abstatten können.«
»Glaubst du, ihr geht’s gut?«, fragte Sue.
»Als sie angerufen hat, war alles in Ordnung. Gegen elf. Sie muss kurz danach zur Arbeit gefahren sein. Wenn nicht …« Neal schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, dass es ihr gut geht.«
»Du bist nicht sicher. Wir sollten es überprüfen.«
Aber wie?, fragte sich Neal. Ein kurzer Besuch in ihrer Wohnung, entweder mit dem Armband oder mit dem Auto, würde nicht viel beweisen.
Es sei denn, sie ist dort. Tot. Oder wird von dem Mistkerl gefangen gehalten.
Vielleicht foltert er sie gerade, versucht, sie zum Sprechen zu bringen …
Hat sie nackt irgendwo angebunden …
Schneidet sie …
»Ich sollte lieber hinübergehen und nachsehen«, sagte Neal und lief zur Tür.
»Nimm das Armband«, sagte Sue. »Das geht schneller.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muss leibhaftig gehen.«
»Ich komme mit«, rief Sue. Sie lief ihm hinterher und schaltete das Licht aus.
Draußen auf dem Laubengang wartete Neal, bis sie die Tür geschlossen hatte.
Im Auto sagte er: »Es geht ihr bestimmt gut.« Er setzte aus der Parklücke zurück und raste die Gasse entlang. »Ich kann nicht mit dem Armband hinreisen. Wenn das Schwein sie geschnappt hat, könnte ich ihr nicht helfen. Das habe ich auf die harte Tour erfahren.«
»Wie weit ist es bis zu ihr?«, fragte Sue.
»Sie wohnt nur ein paar Straßen weiter. Halt die Augen auf, ja? Pass auf, dass uns niemand folgt.«
»Okay.«
»Es geht ihr bestimmt gut«, sagte er erneut. »Ich meine, als sie angerufen hat, war alles in Ordnung, und gleich danach müsste sie zur Arbeit gefahren sein. Und sie hat ihren Namen nicht genannt. Selbst wenn Rasputin in meiner Wohnung war und zugehört hat, weiß er nicht, wo er sie findet.«
»Vielleicht hat er den Hörer abgenommen und mit ihr gesprochen.«
»Was?«
»Nachdem sie ihre Nachricht hinterlassen hat. Vielleicht hat er dann abgenommen und gesagt: ›Ah! Leg nicht auf! Ich bin hier.‹ Und hat so getan, als wäre er du.«
Bei diesen Worten zog sich alles in Neal zusammen. »Marta ist zu schlau, um auf so einen blöden Trick reinzufallen.« Das hoffte er zumindest. »Sie würde merken, dass es nicht meine Stimme ist.«
Es sei denn, der Typ ist wirklich raffiniert.
»Oder vielleicht hat er behauptet, er wär ein Polizist …«
Neal verzog das Gesicht.
»Entschuldigung«, murmelte Sue.
Er streckte die Hand aus und massierte ihren Nacken.
»Ich hoffe wirklich, dass es ihr gut geht«, sagte Sue.
»Ich auch.«
Kurz darauf bog er um eine Ecke, und Martas Haus tauchte auf. Er fuhr dichter heran. Ihr Parkplatz war leer. Keine Spur von dem Jeep.
Neal atmete tief aus. »Sie muss unversehrt weggefahren sein. Ihr Auto ist nicht da.«
»Du solltest trotzdem in der Wohnung nachsehen.«
»Ja.« Er musste fast bis zum Ende des Blocks fahren, ehe er einen freien Parkplatz fand. Nachdem er eingeparkt hatte, sah er Sue an. »Lass uns unsere Sachen mit hoch nehmen. Ich habe einen Schlüssel. Wir bleiben über Nacht da.«
»In Martas Wohnung? «
»Es ist sicherer für alle. Dort müssen wir uns keine Sorgen machen, dass Rasputin plötzlich reinschneit.«
»Oder dass wir ihn schnappen.«
»Wir kriegen ihn schon. Wir überlegen uns etwas. Ich will, dass wir als Gewinner aus der Sache hervorgehen. Ich habe einfach Angst, dass er uns erledigt, wenn wir in meiner Wohnung bleiben.«
»Gut. Meinst du, Marta macht es nichts aus?«
»Warten wir’s ab. Komm.«
Während sie den Wagen ausluden und zurück zu Martas Haus gingen, hielt Neal ständig nach sich nähernden Autos Ausschau.
»Ich glaub nicht, dass uns jemand gefolgt ist«, sagte Sue.
»Wahrscheinlich nicht.«
»Wir sind hier nicht im Film.« Sue grinste ihn an.
»Was meinst du?«
»Du hast gesagt, dass wir getötet werden könnten, weil das hier das echte Leben ist. Aber Rasputin ist auch aus dem echten Leben. Es gilt für beide Seiten, das
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