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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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blickten sich an, als teilten sie ein amüsantes Geheimnis.
    »Was ist?«, fragte Neal.
    »Es ist nur … du musst das nicht machen.«
    »Was?«
    »Diese Sache mit dem ›du auch‹.«
    »Und die Sache mit dem ›ihr beide‹«, fügte Marta hinzu.
    »Das ist irgendwie dämlich.«
    »Ich versuche nur, nett zu sein.«
    »Du brauchst nicht so nett zu sein.«
    »Wir flippen nicht aus, wenn wir nicht gleich behandelt werden.«
    »Genau«, sagte Sue. »Ich bin nicht eifersüchtig auf Marta, und sie ist nicht eifersüchtig auf mich.«
    »Wir haben eine Abmachung getroffen«, sagte Marta.
    Sie grinsten sich an.
    Dann gingen sie gemeinsam weg.
    Neal fühlte sich seltsam: erleichtert und neugierig und ein wenig ausgeschlossen. Es fiel ihm auf, dass er sich schon öfter so gefühlt hatte, seit Marta und Sue sich zum ersten Mal begegnet waren.
    Nein, ganz am Anfang nicht.
    Es hatte angefangen mit Sues Geständnis, Marta mit dem Armband einen Besuch abgestattet zu haben, woraufhin sie mit Marta den Raum verlassen und ihr als Beweis eine Kostprobe ihres Wissens gegeben hatte. Vermutlich ging es dabei um Geheimnisse, die Marta vor Neal hatte.
    Was sind das bloß für Geheimnisse?
    Es kann nichts besonders Wichtiges sein, sagte er sich.
    Aber die beiden hatten sich dadurch verändert. Sie waren sich nähergekommen.
    Neal wäre gern eingeweiht.
    Sei lieber froh, dass sie nicht zu eifersüchtigen Furien geworden sind.
    Ein Glück.
    Das ist kein Glück, es ist ein Wunder.
    Marta und Sue saßen auf dem Sofa. Sie hatten sich umgezogen; Marta trug ein weißes weites T-Shirt und Sue ihren weißen Faltenminirock und den gelben kurzärmeligen Pullover. Beide waren barfuß. Sie saßen dicht zusammen, ihre Knie an der Kante des Wohnzimmertischs. Beide hielten einen Margarita in der Hand, hatten jedoch noch nicht getrunken. An den Gläsern klebte ein dicker weißer Salzrand.
    Ehe sie sich hingesetzt hatten, hatten sie den Tisch abgeräumt. Außer Neals Glas, ganz am Rand auf Martas Seite, stand nichts darauf.
    Neal stand mit der Tüte in Händen auf der anderen Seite des Tischs. »Bereit?«, fragte er.
    »Leg los«, sagte Sue.
    Er beugte sich vor und drehte die Tüte um.
    Das Geld fiel heraus. Von Gummibändern zusammengehaltene Bündel rutschten aus der zerknitterten Öffnung und purzelten auf den Tisch. Dicke Bündel und dünne Bündel, sie flogen heraus und klatschten auf die hölzerne Tischplatte wie ein Haufen Taschenbücher.
    Nach ein paar Sekunden landeten sie nicht mehr auf dem Holz, sondern auf anderen Bündeln, und das Geräusch wurde leiser. Die letzten Packen rutschten nach dem Aufprall von einem grauen und grünen Hügel hinab.
    Als die Tüte sich fast leer anfühlte, flatterten vierzig oder fünfzig lose Scheine heraus und schwebten auf den Haufen. Ein zerrissenes Gummiband fiel hinterher. Und dann ein dreißig Zentimeter langer gekringelter Streifen weißen Papiers mit blauem Aufdruck.
    Als er von dem Geldhaufen rutschte, fing Neal ihn auf. Er strich ihn glatt und betrachtete ihn.
    »Ein Kassenbon?«
    Neal nickte. Der Bon war vom 6. Juli 1995, nur ein paar Tage vor Elises Tod.
    Neal wollte gar nicht wissen, was sie eingekauft hatte. Es war schlimm genug, an sie erinnert zu werden, sich vorstellen zu müssen, wie sie einen Einkaufswagen durch den Supermarkt schob … Alka-Seltzer. Sie hatte Alka-Seltzer gekauft.
    Erinnerungen überkamen ihn.
    Elise in ihrem blauen Satinpyjama.
    Wie sich die Verpackung in ihrer Brusttasche angefühlt hatte.
    Wie ihm die Luft weggeblieben war, als sie das sprudelnde Medikament hinuntergekippt hatte.
    Wie es gewesen war, als er auf dem Sofa gelegen hatte und zum ersten Mal in ihr gewesen war. Wie nervös und aufgeregt und beschämt sie war. Sie hatte das nie zuvor jemandem gestattet. Neal war der Erste gewesen. Und der Einzige.
    »Alles okay?«, fragte Sue.
    Sie und Marta sahen ihn an.
    Neal schüttelte den Kopf. Er zerknüllte den Zettel in der Hand und sagte: »Ich musste nur an Elise denken.«
    »Hey, jetzt sei nicht traurig. Wir wollten doch eine Party feiern.«
    Marta hob mit feierlichem Gesichtsausdruck ihr Glas. »Wir sollten auf sie trinken.«
    »Ein Toast«, sagte Sue. »Gute Idee.«
    Neal ging zum Ende des Tischs, nahm sein Glas und kehrte wieder an seinen Platz zurück. Auf der anderen Seite standen Marta und Sue auf.
    »Auf Elise«, sagte er. »Ich wünschte, du wärst nicht ermordet worden. Aber da es nun einmal geschehen ist …« Er kämpfte darum, nicht die Fassung zu verlieren. »Wo

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