Der Gast: Roman
wusste, dass sie wahrscheinlich den Kummer in seinen Augen wahrnahm. »Wir dachten, dass wir es geschafft hätten«, sagte er. »Dass ich sie gerettet hätte und alles wieder in Ordnung wäre.«
»Das tut mir leid«, murmelte Marta.
»Deshalb haben wir jedenfalls Wodka-Tonic getrunken.«
»Möchtest du jetzt lieber etwas anderes?«, fragte Marta.
»Hm …«
»Wie wär’s mit Margaritas?«
»Okay. Gute Idee.«
Ehe sie anfing, die Drinks zu mixen, holte sie eine Tüte Tortillachips. Sie öffnete die Packung und reichte sie Neal. »Bedien dich. Es kann eine Weile dauern.«
Sie ging in die Hocke und holte einen Mixer aus dem Schrank.
»Also«, sagte Neal. »Was hast du darüber gehört? Ich habe den ganzen Tag geschlafen und konnte keine Nachrichten sehen, und um Punkt fünf bist du aufgetaucht …«
»Falls sie hinter dir her sind, haben sie es jedenfalls nicht bekannt gegeben.«
»Gut.« Neal steckte sich einen Chip in den Mund. Er war knusprig und salzig und schmeckte gut. Er aß noch ein paar.
Marta stellte den Mixer auf die Arbeitsfläche und steckte ihn ein. Dann holte sie zwei Gläser aus dem Schrank. »Soweit ich weiß«, sagte sie, »haben sie keinen Verdächtigen. Aber sie haben nicht besonders viel gesagt.« Sie öffnete einen Schrank auf der anderen Seite der Küche und nahm Flaschen mit Tequila und Triple Sec heraus. »Nur, dass das Opfer eine Frau namens Elise Waters war und dass sie bei den Olympischen Spielen eine Silbermedaille im Turmspringen gewonnen hat.«
Er war überrascht. Elise hatte ihm erzählt, dass sie Turmspringerin war, doch er hätte nie gedacht, dass sie so gut war. Normalerweise sah er sich die Olympischen Spiele im Fernsehen an.
Hatte er Elise tatsächlich springen sehen, ihre Schönheit bewundert, ihren durch den Badeanzug kaum verhüllten Körper bestaunt, ihr zugejubelt, sie auf dem Treppchen stehen sehen, als sie die Silbermedaille verliehen bekam?
Wahrscheinlich.
Doch er konnte sich nicht daran erinnern.
»In welchem Jahr?«, fragte er.
Marta zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Kann sein, dass sie es gesagt haben, aber ich weiß es nicht mehr.« Sie ging mit den Flaschen zu dem Mixer.
»Was haben sie in den Nachrichten noch gesagt?«, fragte er.
»Dass sie mit einem Typen verheiratet war, der außer Landes gewesen ist, als es passierte. Und dass sie auf sehr brutale Weise ermordet wurde. Sie war …«
»Ihr Exmann?«, unterbrach Neal sie.
»Von Ex haben sie nichts gesagt.« Elise stellte die Flaschen ab.
»Sie hat mir erzählt, dass sie geschieden ist. Hieß der Mann Vince?«
»Ich glaub schon. Vince soundso. Er ist ein Schauspieler, aber ich habe den Nachnamen nicht mitbekommen. Ich meine aber, er hieß nicht Waters.«
»Und sie sind nicht geschieden?«, fragte Neal.
»In den Nachrichten, die ich gehört habe, war davon nicht die Rede. Aber manchmal vertun sie sich ja auch.« Sie nahm einen Messbecher. »Elise hat dir also erzählt, sie sei geschieden?«
»Ja, ganz sicher.« So viel zum Thema Testament, dachte er. Auch wenn er nichts gewollt hätte … Trotzdem seltsam, dass sie so ein Angebot machte, wenn sie noch verheiratet war.
»Vielleicht war die Scheidung noch nicht durch«, spekulierte Marta. »Gibt es nicht eine sechsmonatige Wartezeit oder so?«
»Ich glaub schon.«
Sie ging an Neal vorbei zum Kühlschrank und nahm eine Plastikschüssel mit Eiswürfeln aus dem Gefrierfach. »Tja, vielleicht war die Wartezeit einfach noch nicht zu Ende. Manche Leute betrachten sich schon als geschieden, obwohl es noch ein paar Monate dauert.«
»Könnte sein.«
Marta warf ein Dutzend Eiswürfel in den Mixer.
»Gib her«, sagte Neal.
Sie reichte ihm die Schüssel, und er stellte sie zurück ins Gefrierfach. »Würdest du mir zwei Limonen geben, wo du gerade da drüben bist?«
»Klar.« Er öffnete den Kühlschrank, entdeckte eine Plastiktüte mit Limonen und nahm zwei heraus.
»Jedenfalls«, sagte Marta, »sieht es so aus, als wäre es nicht ihr Gatte gewesen. Sie haben gesagt, er hätte sich zum Zeitpunkt des Mordes auf Hawaii aufgehalten. Seit ungefähr einer Woche. In Honolulu, glaub ich.«
»Ich weiß, dass er es nicht war. Aber wer war es? Das würde ich gern wissen.«
»Man weiß es nicht. Oder falls sie es wissen, sagen sie es nicht.«
Neal sah zu, wie sie Tequila in den Messbecher und dann in den Mixer goss. Als sie den Becher erneut füllte, sagte er: »Der Mistkerl ist mit Kugeln vollgepumpt. Wie schwer kann es sein, ihn zu
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