Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Danach zog er Monica über einen Wäscheplatz und kletterte unter einem Wagen hindurch. Auf der anderen Seite drängten sie sich durch eine Ochsenherde, scheuchten ein paar Hühner auf, umrundeten eine Wagenburg.
Von überallher näherten sich nun Stimmen und Schritte. Im Schein von Fackeln tauchten Umrisse von Menschen zwischen den Hütten und Zelten auf. »Langsamer«, flüsterte Hannes und mühte sich um einen gemächlichen Gang. Er zog Monica an sich, als wäre sie sein Weib. »Nur nicht auffallen.« Seine Schwester lehnte gegen ihn, senkte den Kopf.
Von allen Seiten eilten Burschen, Frauen, Kinder und vereinzelt auch Soldaten herbei. Etliche trugen Fackeln mit sich, manche Öllampen. Sie liefen an ihnen vorbei, entfernten sich palavernd und rufend in die Richtung, aus der die Hilfeschreie kamen. Kein Zweifel: Dort hatte jemand den toten Bayern entdeckt.
»Seine Hure und ein junger Landsknecht!«, tönte es plötzlich durchs Lager. »Seine Hure und ein Landsknecht haben den Feldwebel Schneeberger ermordet! Haltet sie! Eine blonde Hure und ein blonder Landsknecht!«
Hannes spürte, wie seine Schwester unter seinem Arm ganz steif wurde und sie zu zittern begann. Er zog ihr den Kragen des Kasacks über den Kopf bis in die Stirn. Sich selbst stopfte er das Blondhaar in die Sturmhaube. Hinter ihnen und irgendwo rechts von ihnen brüllten Männerstimmen Befehle. »Einkreisen!«, hieß es. »Das Lager umzingeln! Niemand darf es verlassen!«
Das Herz sackte Hannes in die Eingeweide. Es waren vor allem die Huren und die räuberischen Burschen der Landsknechte, diejetzt das Lager einkesseln und nach ihnen durchforsten würden. Dieses Gesindel galt als eigentlicher Schrecken von Bürgern und Bauern, gleichgültig ob diese armen Leute es mit den Siegern oder den Besiegten hielten. Dem Gesindel eines Heerestrosses in die Hände zu fallen schien ihm noch schlimmer, als dem Profos und seinen Steckenknechten ausgeliefert zu werden. Hannes’ Knie gaben nach, der Jähzorn war ihm längst vergangen.
Sie gingen an einer Marketenderbude vorbei. Die Marketenderin sah sie nicht, wandte ihnen den Rücken zu und hantierte an einem Regal. Auf den Spieltischen flackerten Öllampen und Kerzen, standen Weinbecher und Krüge, lagen Karten, Würfel und Geld. An einem schlief ein Betrunkener, über einen zweiten beugten sich zwei Männer und hatten nur Augen für ihre Würfel. Die an den anderen Tischen gesessen hatten, machten wohl Jagd auf die Mörder des Feldwebels. Das Geschwisterpaar huschte vorbei, bog in eine Gasse zwischen zylinderförmigen Zelten ein; hier begann der Bereich mit den Offiziersunterkünften.
Schon wieder stampften ihnen Schritte und flogen ihnen Stimmen entgegen. Die Umrisse eines niedrigen Verschlages fielen Hannes auf, ein Ziegenstall. Er zog seine Schwester dorthin, wollte sich hinter dem Kleinvieh verstecken. Monica jedoch widerstand ihm, zerrte an seiner Hand, wollte in die entgegengesetzte Richtung. »Dahin!«, zischte sie und deutete auf eines der vielen Rundzelte. Zwanzig Schritte entfernt kniete eine Frau im Zelteingang und winkte. »Zu ihr«, flüsterte Monica. »Ich kenn sie.«
»Wer ist das?« Aus bloßer Ratlosigkeit ließ Hannes sich zu der Winkenden ziehen.
»Kristina, sie war gut zu mir. Schnell …« Monica bückte sich an der Frau vorbei in deren Zelt hinein. Die Frau griff Hannes in den Nacken, zog ihn zu sich herunter und schob ihn durch den Eingang in ein dämmriges Halbdunkel. Er ließ sich neben seine Schwester auf den Boden fallen.
Die Frau zog die Plane vor den Eingang und schloss ohne Eile Öse für Öse. Hannes sah sich um: eine Kleidertruhe, Körbe mit Vorräten, ein Kruzifix auf zwei gestapelten Kisten, ein langer Koller aus gelblichem Wildleder, ein Degen mit silberbeschlagenem Knauf und Korb. Ein Offizier wohnte hier.
Neben der Frau brannte eine Öllampe auf kleinster Flamme. Endlich hatte sie den letzten Haken in die letzte Öse geschoben, jetzt nahm sie die Öllampe hoch und drehte sich um. Auf Knien rutschte sie näher, leuchtete ihnen ins Gesicht, mal Monica, mal Hannes. Wieder ließ sie sich Zeit.
»Ihr stammt aus derselben Familie«, erklärte sie schließlich mit hartem, fremdländischem Akzent. »Ist er dein Bruder?« Monica nickte. »Man sieht es an den Augen und dem großen Mund. Und am blonden Haar natürlich. Wie heißt er?«
»Hannes.«
»Ich bin Kristina.« Sie drehte den Docht herunter, fast dunkel wurde es wieder. »Monica und ich haben uns in Heidelberg
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