Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Fell schenke ich der schönsten Jungfrau unter dem Himmel!«, rief er. »Ihr, die ich liebe!« Die Rechte am Nacken des Bären und die Beine um seinen Leib geklammert, streckte David die Linke aus und zeigte über die Köpfe der Zuschauer hinweg auf Susanna. »Ihr!« Alle drehten sich um, und Susanna stockte der Atem. »Ja, ihr!«, rief der junge Gaukler. »Ihr gehört mein Herz und dein Fell, dummer Petz, damit ihr warm bleibe künftig, damit ihre Seele nie wieder friere!«
Einen Wimpernschlag lang herrschte Stille. Dann fassten die verblüfften Heilbronner sich wieder, klatschten Beifall und drehten sich nach und nach zur Bühne um, wo das Spektakel seinen Lauf nahm. Susanna aber bekam nichts mehr mit davon, saß ganz steif auf ihrem Hocker, starrte ihre sich auf dem Schoß ineinander verflechtenden Finger an und wusste nicht, wohin mit sich.
Auf einmal überschwemmten die Bilder sie wieder, die sie Tag für Tag mit so viel Mühe von sich fernzuhalten suchte: Wie sie an Davids Seite über den fremden Hof wankte, nachdem es geschehen war, das Unaussprechliche; wie sie sich an den pelzigen Körper seines Bären kauerte in jenem Hühnerstall und ihr wundes Herz nach und nach absterben fühlte; und all die Angst auf dem holpernden Wagen später, wo der Jäger mit der erbarmungslosen Stimme sie nicht sehen konnte, weil die Gaukler sie in ein frisches Bärenfell gewickelt hatten.
Inzwischen wusste sie, wessen Fell es gewesen war.
Und jetzt hörte sie beide auf der Bühne: Der eine brummte und blökte, der andere prahlte und mimte den starken Mann. Waren es die beiden nicht gewesen, denen sie ihr Leben verdankte? Oft genug hasste sie den jungen Gaukler David für das, was er getan hatte, denn oft genug wäre sie lieber tot und bei Hannes. Den Bären dagegen liebte sie uneingeschränkt, nicht einmal sein Gestank störte sie noch; sie hatte zu viele schlaflose Nächte voller Angst und Trauer in den vergangenen Wintermonaten neben der starken, pelzigen Kreatur verbracht.
»Sie muss doch nicht weinen«, raunte eine Stimme nah an ihrem Ohr. Susanna hob den Blick und erkannte den Bürgermeister hinter ihrem Tränenschleier. Er reichte ihr ein Schnupftuch. »Nichts ist so schlimm, dass es nicht auch wieder gut werden kann.«
Alles in Susanna wollte widersprechen, doch sie schluchzte nur einen Dank und presste das Tuch vors Gesicht. Der Mann wandte sich wieder der Bühne zu, blieb aber dicht vor ihrem Fass stehen, um sie vor den Blicken einiger Heilbronner zu schützen, die ihre Tränen bemerkt hatten.
Später packten sie auf der Bühne ihre Instrumente und die Wurfmesser der Zwergin ein, und Stephans Zangen, Hebel und Zahnschlüssel aus. »Kommt herauf zu mir, ihr Mühseligen und Beladenen«, lud der geschickteste Dentist unter dem Sternenzelt die Heilbronner ein. »Überlasst sie mir, die stinkenden Quälgeister in euren hochverehrten Mäulern.« Zwei Dutzend Heilbronner reihten sich in die Warteschlange vor der Bühne ein.
Die Geldschatulle unter dem Arm, drückte Susanna sich an feixenden Soldaten vorbei zur Bühne. Ihr Kopfweh war wie fortgeblasen. Aus den Augenwinkeln sah sie den Bürgermeister dem Großcousin ein paar Münzen in die Hand zählen. »Die arme Jungfrau war in Heidelberg an jenem Unglückstag?«, fragte er dabei, und der Großcousin nickte. »Sie sieht krank aus, sie braucht einen Arzt«, hörte Susanna den Bürgermeister sagen.
Sie beeilte sich, hinter den Schutz der Bühne zu huschen, dochan deren Schmalseite blieb sie stehen, weil sie die Landgräfin schimpfen hörte. »Wie kann Er es wagen?«, zeterte Marianne. »Dem verstörten Mädchen vor so vielen Leuten eine Liebeserklärung zu machen!«
»Lasst ihn doch!« Wie so oft kam Lauretta dem jungen Gaukler zur Hilfe. »Es war doch so schön …«
Rübelrap schaukelte um die Ecke, sah sie und zog fragend die buschigen Brauen hoch. Große, traurige Kinderaugen blickten sie an. Susanna drückte dem Riesen die Schatulle in die Hände und lief davon.
*
Zunächst schien noch die Sonne. Ihr Licht ließ Kutsche, Gespann und Kutscher so hell aufleuchten, dass Susanna jeden Nagel an der Kutsche, jede Naht im Zaumzeug und jede Linie im Gesicht des Kutschers deutlich erkennen konnte. »Hannes«, sagte sie, und es klang wie Gesang, denn alles Lächeln ihrer Seele lag in diesem Namen. »Hannes …«
Er hatte sie längst gesehen, lenkte das Gespann längst quer durch den Himmel auf sie zu. Und sie, sie schwebte ihm entgegen. »Mein Hannes …«
Auf einmal
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