Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
zu lange, ist zu wenig geradeaus mit seinen Affekten, beweist mit all seinemlauten Grübeln nur, dass er ein empfindlicher Charakter ist, der zurückscheut vor Gewalt und die Rache wohl bis zum Jüngsten Tag vor sich herschieben würde, wenn sein mörderischer Onkel nicht zum Degenfechten geladen hätte.«
»So ist es«, sagte die Blonde. Sie hing die ganze Zeit an Greenleys Lippen, und David gewann den Eindruck, dass sie den Engländer bewunderte. »Zu zaudernd, zu wenig geradeaus – so ist es.«
»Kurz: zu kompliziert für die braven Deutschen.« Greenley klatschte in die Hände und streckte sie dann in theatralischer Geste zum Abendhimmel. »Sein oder Nichtsein? Was für eine Frage!«, ereiferte er sich. »Sein natürlich, und alles totschlagen, was einen daran hindern will! Ja, hätte der Prinz von Dänemark seinen Onkel Claudius sofort vergiftet oder erstochen und dessen Parteigänger gleich dazu und dann noch seine eigene Mutter verführt – oder umgekehrt –, hätte er also gerast wie gewisse Griechen und wäre danach wie die Kaufmannsfrau in feiner Ordnung zur Hölle gefahren, das könnte den Deutschen schon eher gefallen, nicht wahr? Da hätten die frommen Nürnberger entschieden lauter applaudiert!«
Die englischen Komödianten lachten vergnügt und schienen völlig einverstanden; die blonde Edelfrau schmunzelte immerhin, allerdings mit spitzem Mund und unter hochgezogenen Brauen. Und Susanna? Die sah David mit hellwachem Blick in die Runde schauen und dabei an ihrem Brot zupfen. Ihr Braten wurde allmählich kalt. David selbst empfand Stolz und Dankbarkeit, in dieser bunten Runde sitzen zu dürfen. Man zählte ihn hier nicht zu den braven Nürnberger Zuschauern, sondern schon halb zu den Komödianten; wenn auch zu solchen aus einer anderen Zunft, wie der Prinzipal es genannt hatte.
Ein Mann mit rötlichem Langhaar tauchte auf einmal im Klostergarten auf, der Maler. Ein Diener trug ihm seine Ausrüstung hinterher. Der Maler grüßte freundlich nach allen Seiten und begann, unweit vom Feuer seine Staffelei aufzubauen. Der jungeKomödiant namens Aaron brachte ihm Fleisch, Brot und Wein und schenkte auch denen nach, die am Feuer saßen. Bei Susanna verweilte er länger mit dem Krug als bei allen anderen, und wieder schmeichelte sein Blick sich in ihren. David entschied, dass er den Burschen nicht mochte.
»Das zweite Stück taugte eher für gradlinige Deutsche, nicht wahr, verehrte Prinzessin?« Greenley sprach weiter. »Hier muss der Affekt kaum Umwege in Kauf nehmen, allenfalls ein bisschen Versteck spielen, wenn er sich ausgetobt hat. Wisst Ihr übrigens, dass diese Tragödie von dem deutschen Herzog Heinrich Julius von Braunschweig stammt?«
»Er hat es für den Clown Thomas Sackville geschrieben, Ihr erwähntet es einmal, Prinzipal.«
»›Clown‹? Nicht doch, Verehrteste!« Greenley verzog das knochige Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Mein großer Lehrer war mehr als nur ein Clown! Einen begnadeten Schauspieler wie Sackville hat die Welt weder vor ihm noch nach ihm gesehen. Keiner brachte den Pickelhering so überzeugend auf die Bühne wie er …«
Und dann begann der englische Prinzipal von seinem Lehrer Sackville zu schwärmen. Nie zuvor hatte David diesen Namen gehört. Er erfuhr bei dieser Gelegenheit, dass Greenley mit jenem Sackville schon durch die Städte und Fürstenhöfe des Heiligen Römischen Reiches zog, als er selbst noch in einer Wiege am Millstätter See lag. Er hatte gehört, dass man Greenley den »Alten Komödianten« nannte. Nach und nach verstand er, warum.
Wein wurde nachgeschenkt, die Dämmerung brach ein, und Greenley unterhielt die ganze Gesellschaft. Erst als ihm die Zunge schwerer wurde und er hin und wieder für kurze Zeit verstummte, gaben auch andere Komödianten Scherze und Anekdoten zum Besten. Einer packte seine Laute aus, ein anderer spielte auf einem Dudelsack, ein dritter schlug die Trommel. Zwei Paare begannen zu tanzen. Der unverschämte Aaron stand plötzlich auf, wischtesich die fettigen Hände an den Hosen ab und verbeugte sich vor Susanna. Und David traute seinen Augen nicht: Sie erhob sich und ließ sich von ihm zu den Tanzenden führen. Dort erklärte der freche Bursche ihr einige Tanzschritte, und schon drehten sie sich im Takt der Musik.
Mit offenem Mund starrte David zu ihnen hinüber; Zorn und Verblüffung rissen ihn hin und her. Weder dem einen noch dem anderen konnte er sich hingeben, denn John Taylor, der den Kaufmann gespielt hatte,
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