Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
die Zelle, holte ein Buch aus seiner Ledertasche und schlug es auf. »Ehrenmänner wie ihr haben Besseres verdient alsden Pranger, nicht wahr?« Er deutete auf die Handschrift in den letzten beschriebenen Zeilen seines Buches. »Eure Namen habe ich schon notiert, jetzt schreibe ich noch ein paar Kleinigkeiten dazu, dann unterschreibt ihr, danach gibt es Handgeld und danach seid ihr frei, mit mir zu meinem Feldherrn aufzubrechen.«
Als Jan Edelmann alles notiert hatte, was er wissen wollte, machte der Bursche mit dem rötlichen Haar zwei Kreuze neben seinem Namen. Und Hannes schrieb den seinen in das Buch.
*
Im ersten Morgengrauen begleiteten zwei Engländer sie in einem Wagen zum Tiergärtnertor. Die ganze Nacht lang hatten sie im alten Klostergarten gefeiert: Susannas und Davids Aufnahme in Greenleys Wandertruppe. Davids armer Student hatte alle Komödianten überzeugt. Der Prinzipal war zuvor schon von David überzeugt gewesen.
Auf dem Platz vor dem Tiergärtnertor stand kein einziger Wagen mehr. Nirgends ein Pferd, nirgends ein Bär oder ein Vogel. Susanna musste weinen.
Unter dem Tor hockte ein Halbwüchsiger neben ein paar Kisten und Kleiderbündeln. Davids und Susannas Habseligkeiten. »Ein herzliches Lebewohl und viel Glück soll ich euch von dem großen Gaukler ausrichten«, sagte der Junge. »Zehn Kreuzer hat er mir versprochen, wenn ich auf die Sachen aufpasse, bis ihr kommt.« Er streckte die Hand aus. »Fünf habe ich schon gekriegt.«
Susanna weinte noch heftiger und David gab dem Jungen die fünf Kreuzer. Die Katze miaute in einer Mauernische neben dem Tor. Susanna nahm sie hoch und drückte sie an sich.
Sie fuhren zurück zum Heilsbrunner Hof. Susannas Herz war mächtig schwer. Sie lehnte sich gegen den jungen Gaukler. Der legte den Arm um sie und sprach kein Wort. Einmal, als sie an einem Nachtwächter und seiner Laterne vorbeifuhren und derenLichtschein einen Atemzug lang in den Wagen fiel, sah sie eine Träne auf Davids müdem Gesicht glänzen.
Die englischen Komödianten blieben zwei Tage länger in Nürnberg als ursprünglich geplant. Christopher Greenley, hoch angesehen im Magistrat, kannte einen alten lutherischen Prediger. Der war bereit, ein junges Paar zu trauen, das weder in Nürnberg wohnte noch lutherisch glaubte.
Der fromme Mann besprach mit ihnen die Trauung, wollte Namen von Leuten wissen, die bezeugen konnten, dass weder David noch Susanna verheiratet oder einem anderen versprochen waren. Greenley und Taylor bezeugten, was immer nötig war; Susanna nickte einfach nur. Hannes stand ihr vor Augen, und die Erinnerung an ihn verschloss ihr die Lippen.
Nach Familie und Namen gefragt, gab David an, er sei der Sohn eines Viehhändlers vom Millstätter See namens Joseph Villacher. Am Ende fragte der alte Prediger, ob es denn einen Bibelspruch gebe, zu dem sie gern seine Traupredigt hören würden. »›Gottes Wege sind vollkommen, er ist ein Schild allen, die ihm vertrauen‹«, platzte es aus Susanna heraus. Also predigte der Alte über ihren Konfirmandenspruch, und er tat es beinahe so gut wie der Magister Pareus damals, als Susanna in Heidelberg auf Hannes wartete.
Alle Komödianten und ihre Frauen hockten in der Kirche während der Trauung; außerdem einige ihrer treusten Zuschauer und zwei Ratsmitglieder, die der Prinzipal eingeladen hatte. Die Prinzessin von Bernstand entdeckte Susanna nicht unter den Gottesdienstbesuchern. Dafür war sie dankbar.
Später am Altar dachte sie zurück an den Tag ihrer Kindheit, als sie Hochzeit spielten am Bach in jenem lieben Walddorf oberhalb der Bergstraße; als sie Hannes zu ihrem Bräutigam erwählte und er partout darauf bestand, dass nicht sie ihn erwählen dürfe, sondern umgekehrt er sie erwählen müsse. Tränen strömten ihr über das Gesicht, als der alte Prediger die üblichen Fragen stellte und David mit »Ja« antwortete. »Ja«, schluchzte auch sie.
Ihr Vater fiel ihr ein und sein Gleichnis von der Ehe als einem heißen Herd, auf den man einen kalten Topf stellt, und seine Worte: Unser kleines Leben allein bedeutet nicht viel , und wie sie nichts von alledem hatte wissen wollen. Daraufhin musste sie wieder ganz furchtbar weinen. Christopher Greenley, der in Ermangelung eines Vaters den Brautführer gab, tröstete sie und trocknete ihr die Tränen. Alle glaubten, es seien Tränen der Rührung.
Es gab eine Feier in einem Gasthaus außerhalb Nürnbergs. Die Komödianten sorgten für Musik, und es wurde gesungen und getanzt.
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