Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Monaten hegte er den Plan, spätestens am Todestag bei ihr zu sitzen. »Ich bin müde, das kannst du mir glauben.«
Ein langer Weg aus dem Hessischen lag hinter ihm und den beiden Burschen. Sonst hatte er keinen mitgenommen. Bei Hanau und in der Wetterau lagerte Tillys Reiterei und ruhte sich aus. Da war niemand im Moment, der noch Lust hatte, sich zu schlagen mit dem geharnischten Mönch. Nun, das würde sich bald wieder ändern. Nach dem Winter konnte es schon ganz anders aussehen. In Dänemark und England wetzten sie ja bereits die Messer. Und in Frankreich sowieso, seit der neue Kardinal dort Erster Minister geworden war; Richelieu, dieser Fuchs – der setzte alles durch, was er wollte. Selbst die feinen Geldsäcke aus Venedig hatte er zum Bündnis mit der Pfalz, England und Dänemark überreden können.
Alle verschworen sich gegen die Habsburger. Es sah schlecht aus im Moment. Für die katholische Liga und für die Sache des Kaisers. Doch wie man hörte, dachte Ferdinand in Wien nicht daran, sich einem Frieden nach fremdem Diktat zu beugen. Und sein Hofhund in Bayern, der Großherzog Maximilian, hatte schon viel zu viel in diesen Krieg investiert, um jetzt noch den Schwanz einziehen zu können. Und der General Tilly tat sowieso alles, was man ihm sagte. Der würde sogar nach England übersetzen und London belagern, wenn der Bayer und der Wiener es wünschten.
Maximilian seufzte, blickte in die Lindenkrone und zum Abendhimmel hinauf. Tief sog er die milde Luft ein. Ja, ein guter Sommer war das gewesen und ein guter September bis jetzt. Schade, dass ein Oktober ihm folgen würde. Ein Oktober mit dem Herrn Grafen unter einem Dach. Und mit einer Hochzeit hier auf der Burg. Lieber wäre er in die nächste Schlacht gezogen.
Auf das Mädchen war er dennoch gespannt. Anna hieß es, die Nichte eines Herzogs. Den genauen Verwandtschaftsgrad in Bezug auf sich selbst hatte er vergessen. Es habe einen breiten Hintern, hatte er gehört, und große Brüste. Nun, es gab Schlimmeres.
Er richtete seinen Blick wieder auf den Grabstein seiner Schwester, las die Inschrift: Hier ruht in Gott Hildegard von Herzenburg, 6. Februar anno 1595 – 18. September anno 1611 .
»Ich habe oft an dich gedacht, Hildegard. Eigentlich jeden Tag.« In letzter Zeit beließ er es nicht mehr dabei, nur an sie zu denken: Oft sprach er mit ihr; und sie sprach mit ihm. »Und an ihn hab ich gedacht. Auch jeden Tag. Leider. Und du hast recht: Er hat den Tod verdient.«
Ein Diener trat durch die Küchentür. »Erlaucht?« Er verbeugte sich. »Ihr seid zurück? Hocherfreut, Euch gesund zu Hause zu sehen, Erlaucht. Hoffe, Ihr hattet eine gute Reise.« Maximilian bedankte sich und zwang sich zu ein paar Fragen nach Wohlbefinden und Familie des Mannes. Dunkel erinnerte er sich eines kranken Kindes. Das sei inzwischen gestorben, Gott sei seiner Seele gnädig, und ob Erlaucht zu speisen wünsche.
»Nein. Er bringe mir aber einen Krug Wein und ein wenig Brot mit kaltem Braten. Und dann sorge Er dafür, dass meine Burschen etwas Warmes zu essen bekommen.« Der Diener verneigte sich und marschierte Richtung Küchentür. »Hat Er etwas von meiner Base gehört?«, rief Maximilian ihm hinterher.
Der Diener blieb stehen, verbeugte sich abermals. »Die Prinzessin hat Boten geschickt. Wir erwarten sie spätestens morgen Abend.« Sprach’s und verschwand in der Küche.
Maria war bereits auf dem Weg zur Herzenburg! Der Gedanke hob Maximilians Stimmung ein wenig. Doch nicht lange, dann setzte er das Gespräch mit seiner Schwester fort. Er meinte sie vor sich zu sehen, während er ihr von seinem Besuch beim Herrn Grafen und von Mathis’ Tod erzählte. Als alles berichtet war, betrachtete er das Grab seiner Mutter. Es kam ihm wie gestern vor, dass der Gärtner und die Stallknechte ihren Sarg hier versenkten. »Sie hätte niemals springen dürfen, Hildegard, nicht wahr? Ihn hätte sie vom Turm stoßen müssen. Oder wenigstens vergiften. Kein schlechtes Gewissen hätte sie dann noch in den Tod treiben können.«
Schritte näherten sich, der Diener brachte ein Tablett mit Wein, Brot und kaltem Braten und zog sich danach wortlos zurück. Maximilian leerte einen ganzen Becher Wein, bevor er das Brot überhaupt anrührte. Auf das Fleisch hatte er schon keinen Appetit mehr. Zwei Krüge leerte er bis Mitternacht, starrte dabei auf die Gräber, sprach mit seiner Zwillingsschwester oder stand auf der Gartenmauer, um hinunter ins Elbtal zu blicken. Irgendwann holte er sich
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