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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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recht, doch es ist ein gewaltig großes Gefängnis und außerhalb seiner Mauern gibt es gar nichts – keinen Gott, keinen Himmel, keine Hölle.« David sah sich erschrocken um. In einer lutherischen Stadt dergleichen zu äußern war nicht ungefährlicher, als wenn man es in einer papistischen tat. So gut kannte er die Christen inzwischen. Doch kein Fremder hatte zugehört.
    »Darum richte ich meine Aufmerksamkeit in jedem Moment darauf, alles in diesem Gefängnis zu hören, zu schmecken, zu sehen, was es zu hören, zu schmecken und zu sehen gibt. Doch weil es ein so großes Gefängnis ist und mein Leben so beklagenswert kurz, wird es mir nie und nimmer gelingen, mehr als nur einen Bruchteil davon zu ergründen. Bin ich aber der Pickelhering oder schlüpfe ich in die Haut eines Proculus, eine Hamlets oder auch nur eines reichen Kaufmanns, dem das Eheweib Hörner aufsetzt,dann sehe ich von einem anderen Standpunkt aus in dieses Gefängnis hinein, dann sehe ich mehr, dann sehe ich, was ich eingesperrt in Haut und Hirn des armen kleinen Greenley niemals gesehen hätte. Das ist es, was mich auf die Bühne treibt, verehrte Maria. Ich will hören, schmecken und sehen, ich will so viel erleben und erfahren von diesem Gefängnis wie nur irgend möglich …«
    »Ist ja gut, mein lieber Christopher.« Aaron zwinkerte nach rechts und links und legte den Arm um den Prinzipal. »Deswegen musst du dich nicht gleich in solche Leidenschaft reden.«
    »Nach einer möglichst fetten Mahlzeit will ich aufstehen, wenn der Tod anklopft, um mich zu holen, wie der große Lukrez dichtete!« Greenley sprach weiter, als hätte er gar nicht zugehört. »Aufstehen als ein gut gesättigter Gast des Lebens, wenn das Lebensfest vorbei ist. Deswegen bin ich Komödiant!«
    »Hör auf, Christopher!« Aaron machte Anstalten, sich die Ohren zuzuhalten. »Ich bitte dich, hör damit auf!«
    Sie näherten sich der Schänke. Alle schwiegen, alle schienen betroffen – alle außer Aaron. »Habe ich denn nicht recht?« Greenley wandte sich um. »John, Piet, David, verehrte Maria – habe ich etwa nicht recht?«
    »So habe ich das noch nie gesehen, mein Prinzipal.« David räusperte sich, war nicht sicher, ob er recht verstanden hatte. »Sehen? Den Standpunkt wechseln? Komödien und Tragödien spielen, um mehr zu sehen? Ich muss darüber nachdenken.«
    »Schauspielen, um leichter sterben zu können, ja, um sterben zu lernen geradezu«, sagte Greenley, und Aaron spuckte auf die Straße.
    Plötzlich, kurz bevor sie die erste Stufe zur Schänke nahmen, griff die Prinzessin – Maria – nach Davids Hand und hielt sie zwei Atemzüge lang ganz fest. David sah zu ihr, sie lächelte ihm ungewohnt scheu ins Gesicht, beinahe ängstlich, sah dann gleich wieder auf die Treppe und ließ seine Hand los.
    Sie traten in die Schänke – Gemurmel und Gelächter ebbten für einen Moment ab. Blicke hoben sich, musterten sie, senkten sich wieder. Brennender Kienspan an den Wänden, Öllampen auf den Tischen. Der Wirt wies auf einen freien Tisch, erkundigte sich nach ihren Wünschen. Greenley bestellte Wein für alle.
    »Habe ich richtig verstanden?«, fragte Maria, als sie saßen. »Um sterben zu lernen, bist du Komödiant geworden? Wird deswegen so viel gestorben auf deiner Bühne?«
    »Hört ihm nicht zu.« Aaron winkte missmutig ab. »Hört ihm doch einfach nicht zu.«
    »Wie dumm und jung seid ihr doch alle miteinander.« Greenley schüttelte resigniert den Grauschopf. »Seht einander doch an!« In pathetischer Geste deutete er auf David und Maria. »Jetzt noch so jung und so schön und morgen schon siech und verwelkt!« Der Wirt brachte Wein, Aaron winkte immerzu ab, John Taylor nickte nachdenklich, und David und Maria machten große Augen. »Nun – vielleicht nicht schon morgen, vielleicht doch erst übermorgen!« Der Prinzipal lachte laut und griff zum Weinkelch. Sie stießen an und tranken. »Unerträglich wäre es ja für uns Menschen, wenn Alter und Siechtum von heute auf morgen kämen. Doch auch wenn sie uns nach und nach an sich gewöhnen, die bösen Gesellen, sind sie noch schwer genug zu ertragen. Wie schreibt der einzige Franzose, den unser großer Shakespeare gelten ließ? ›Bekanntlich hat man in krummer, gebückter Haltung weniger Kraft zum Lastentragen‹, schreibt der unvergleichliche Montaigne. ›So auch die Seele: Wir müssen sie täglich aufrichten und straffen gegen den Druck dieser Widersacher.‹ Auch deswegen gehe ich auf die Bühne, meine jungen

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