Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
und vom Schnarchen seiner Reiter. Es war Hildegards Stimme gewesen, kein Zweifel. »Du hast mich gerufen, liebe Schwester«, flüsterte er. »Ich hab dich gehört. Bald ist es so weit, bald wirst du Ruhe finden.«
Er sprach oft mit ihr. Manchmal auch mit Maria. Und immer häufiger ertappte er sich wieder dabei, wie er es murmelnd tat oder wenigstens die Lippen dabei bewegte. Dann sah er sich jedes Mal erschrocken nach zufälligen Beobachtern um.
Einmal entdeckte er gegen Abend einen schwarzen Reiter, wie er ohne Eile am anderen Ufer der Leine ritt. Ein dürrer, hochgewachsener Kerl mit großem Adamsapfel, und auch seine Haltung erinnerte stark an die Art, wie Mathis von Torgau auf seinem Pferd gesessen hatte. Der Obristleutnant machte Laußnitz auf denReiter aufmerksam, doch der Cornet runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern. Er sah keinen Reiter.
Seitdem rührte Maximilian keinen Wein mehr an.
Boten und Kundschafter gingen ein und aus bei ihm und den anderen Kommandeuren, kleinere Scharmützel waren an der Tagesordnung; es gab Tote, Verwundete und Gefangennahmen auf beiden Seiten. Die eigentliche Schlacht stand erst noch bevor, und dennoch hatte Maximilian schon mehr als zehn Reiter verloren. Darunter auch diesen blonden Leutnant, diesen Stein. Schade. War ein brauchbarer Mann gewesen alles in allem.
»Erst zieht er Richtung Thüringen, dann macht er plötzlich wieder kehrt und nun scheint er zurück ins Braunschweiger Land zu wollen.« Wie beinahe täglich hielten sie wieder einmal Kriegsrat bei Tillys Wagen. Der August neigte sich bereits dem Ende zu und mit ihm der Sommer. Kopfschüttelnd betrachtete der General die Karte auf dem Tisch, den seine Diener vor dem Wagen aufgestellt hatten. »Man wird nicht recht schlau aus dem König von Dänemark.« Es klang ein wenig spitz, wie er über den gegnerischen Feldherrn sprach; als wollte er den viel Jüngeren tadeln.
»Eine Kriegslist«, sagte von Bernstadt. »Er will uns in eine Falle locken.« Maximilian und er hatten eine gewisse Meisterschaft darin entwickelt, einander zu übersehen.
»Er ist verrückt.« Der Herr Graf winkte ab. »Einfach nur verrückt.« Sein Vater strafte Maximilian mit zornigen und verächtlichen Blicken. Einigen Offizieren fiel das natürlich auf. Maximilian wusste, dass man heimlich über ihn und den Herrn Grafen redete. Es machte ihm schon nichts mehr aus.
»Der König ist bei klarem Verstand«, widersprach er dem Vater. »Deswegen hat er Angst vor uns.« Vielleicht konnte Maximilian das so klar erkennen, weil ihm selbst die Angst im Nacken saß – wenn auch nicht vor den Dänen. »Er sieht unsere Überlegenheit und fürchtet sich. Also meidet er die Schlacht. Ganz vernünftigim Grunde.« Angst und Vernunft, wie eng doch beides verwoben sein konnte!
»Wäre er bei klarem Verstand, würde er seine viel zu weit verstreuten Regimenter längst vereinigt haben und uns angreifen«, behauptete ein bayrischer Obrist namens Fritsch. Die meisten nickten, besonders grimmig der Feldmarschallleutnant Des Fours, ein rechter Draufgänger und Eisenfresser.
»Er ist einfach nur ein hirnloser Narr!«, polterte der Herr Graf, inzwischen Obrist. Und wieder ein verächtlicher Blick. Hildegard schien ganz nahe in solchen Momenten; Maximilian glaubte sie neben sich.
»Zwei Möglichkeiten.« Des Fours deutete jetzt auf die Karte. »Entweder er zieht hinauf nach Wolfenbüttel, oder er verschanzt sich hier im Gehölz zwischen den Hügeln und wartet auf eine Gelegenheit zur Schlacht.«
»›Entweder oder‹! Tag für Tag ›entweder oder‹, Tag für Tag warten!« Tilly wurde laut. »Genug davon! Wenn der König nicht weiß, ob und wann er die Schlacht will, dann zwingen wir ihm auf, was wir wollen. Und ich will die Schlacht spätestens übermorgen, und zwar hier!« Tilly deutete auf ein Dorf und einen Hügel.
Und dann ging es, wie Maximilian es oft erlebte: In kürzester Zeit entwarf der kleine General seinen Schlachtplan, stellte Geschütze, Infanterieblöcke und Reiterei auf, bestimmte den Keil, den die Kürassiere ins feindliche Fußvolk zu treiben hatten, skizzierte Linien, auf denen die Arkebusiere und Dragoner dem Gegner in die Flanken fallen und seine Geschützstellungen angreifen sollten. Mit beinahe ehrfürchtigem Staunen hörten die Kommandeure ihrem Feldherrn zu, und mit größter Aufmerksamkeit folgten ihre Blicke den Linien und Bögen, die sein Stab auf der Karte beschrieb.
In Tillys Plan hatten Maximilians Kompanien die schwere
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