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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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ihm in alle Glieder, füllte ihm den Schädel und drohte ihm die Sinne zu rauben.
    »Susanna …« Traurig und schön leuchtete ihr Bild auf einmal in seinem Geist auf. »Susanna …«
    Dann stand ihm die Mutter vor Augen, wie sie weinte beim letzten Abschied und wie sie ihn umarmte, und dann das Bildnis der Heiligen Jungfrau in der Schlafkammer der Großmutter. Seine ganze Kindheit hatte er davor seine Morgen- und Nachtgebete verrichtet, seine halbe Jugend über. Schnell verblasste es. Es wurde dunkel, und die Buchenstämme waren auf einmal Säulen vor dem Eingang einer Kathedrale, so still und so gewaltig, wie er auch in Paderborn und Magdeburg keine gesehen hatte.
    Das Ende, ja, das Ende – so fühlte es sich also an.
    Die Stille dröhnte Hannes in den Ohren, auf seine Zunge kroch der bittere Geschmack der Pferdemähne und der metallene Geschmack von Blut. Er stürzte und stürzte, hinein in die Dunkelheit der ungeheuren Kathedrale, hinein in die große Stille …

12
    D ie Pferde schnaubten, die Männer fluchten, und der Wagen ächzte unter seiner schweren Last. Es ging nur langsam bergauf. Wie festgefroren hockte David auf dem Kutschbock, seine Gedanken flogen schon wieder fort zu dem Mädchen.
    Inzwischen kannte er seinen Namen: Susanna. Wie Musik perlte ihm das durch die Brust – Susanna , schön und schmerzlich zugleich.
    Gefrorener Schnee knirschte unter den Pferdehufen, unter den Stiefeln der Männer und unter den Kufen der Wagenräder. Steinblöcke stapelten sich auf der Ladefläche. Nur sehr langsam ging es bergauf.
    »Hüh! Hüh!« David wedelte mit den Zügeln über den dampfenden Rücken des Sechsergespanns. »Hüh, ihr tapferen Pferdchen! Weiter, immer weiter!« Er lenkte das Gespann entlang der neuen Laufmauer zur Baustelle hinauf. Alle anderen stapften neben dem Wagen her; einige hielten sich mehr an ihm fest, als dass sie ihn schoben. Von der Krone der noch unvollendeten Laufmauer grüßten Soldaten in langen Mänteln – Holländer, Schotten, Engländer, Pfälzer. Die Atemluft der Pferde stieg wie Nebelschwaden auf, und auf Rücken und Mähnen der Tiere glitzerten Eiskristalle. Eis auch in den Bärten und Brauen der Männer, und beim Einatmen gefror einem die Luft in den Nasenlöchern – so kam es David jedenfalls vor.
    Der Februar des Jahres 1622 begann so klirrend kalt, wie der Januar aufgehört hatte. Wenigstens schneite es nicht mehr.
    An die zwanzig schmutzige, dick eingemummte Männer stapften links und rechts des Wagens durch den Schnee, ein Drittel davon kurfürstliche Soldaten. Dies war die zweite Fuhre Steine, diesie heute aus dem nahen Steinbruch holten – keine ungefährliche Arbeit, denn immer wieder wagten sich einzelne Rotten aus dem bayrischen Heer von General Tilly über den Neckar und beraubten und erschlugen, wer ihnen gerade über den Weg lief.
    Die Baustelle kam in Sicht, der Trutzkaiser. Mit Händeklatschen und Rufen trieb der ranghöchste der Soldaten die Männer zur Eile an: Franz Hacker, ein alter Bekannter von David. Den hatten die Engländer inzwischen zum Fähnrich gemacht, und David glaubte zu wissen, warum er Hackers Baukommando zugeteilt worden war …
    Seit Anfang November hatte der Winter die Pfalz in eisigem Griff. Eis bedeckte Neckar und Rhein schon seit Weihnachten, und bald drei Fuß tief war der Boden inzwischen gefroren, weshalb die Arbeiten an den Gräben vor der Wehrmauer seit langem ruhten. Doch an den Mauern selbst und am Trutzkaiser musste weitergearbeitet werden. Jeden Mann innerhalb der Mauern von Heidelberg, der einigermaßen bei Kräften war, hatte die Stadtregierung zur Arbeit an den Wehranlagen verpflichtet. Auch Studenten. Auch Fremde, die sich unfreiwillig in der Stadt aufhielten. Auch Häftlinge. Und so kam es, dass man den starken Rübelrap aus seinem mit Eiszapfen tapezierten Kerker geholt und zu den Maurern, Zimmermännern, Steinmetzen und Fuhrleuten an der Westmauer gesteckt hatte.
    David machte sich nichts vor: Rudolph von Mosbach hätte den Mann, der ihm seinen geliebten Dukatenbeutel gestohlen hatte, lieber am Pranger gesehen – und noch lieber am Galgen. Doch der Pfalzgraf in Zweibrücken schien zum Glück Besseres zu tun zu haben, als wegen eines Taschendiebes ins bedrohte Heidelberg zu reisen, und in der Residenzstadt hatten die Engländer das Sagen. Allerdings war es dem Baron von Mosbach gelungen, die Gaukler dem Befehl seines Leibgardisten zu unterstellen. So konnte er sie im Auge behalten.
    David lenkte das Gespann dicht an

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