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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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auf dem Seeweg auf die andere Seite der Insel.
    An diesen Kai schloss sich der Fischmarkt an, wo die Fischer ihren Fang direkt anboten. Wenn der Markt am Mittag geschlossen wurde, wimmelte es dort von Möwen und Katzen, auch verwilderte Hunde suchten in den Abfällen ihre tägliche Ration an Futter.
    Victoria bog zu dem Kai mit den weißen, blitzenden Yachten ab. Sie schlenderte die Bootsplanken entlang und las die Namen der Boote, die meist klangvoll und romantisch waren, manchmal aber auch lustig und absurd. Dann versuchte sie sich auszumalen, warum die Eigentümer ihre Segelyacht ausgerechnet »Anaconda« oder »Pippi Langstrumpf« genannt hatten, und wer ein Boot segelte, das »Pink Panther« oder »Endless Summer« hieß.
    Manchmal erhaschte sie den Blick auf einen der Bootseigner, der sein Schiff zum Auslaufen klarmachte. Einer lächelte ihr zu und hob die Hand zum Gruß, die meisten waren jedoch viel zu beschäftigt, um sie zu bemerken.
    Am Ende des Steges, dort, wo Angler ihre Ruten ins ruhige Wasser hielten und auf einen dicken Fang hofften, stand eine Gruppe junger Leute. Sie lümmelten an der Reling des Stegs, saßen auf dem Geländer und unterhielten sich lauthals. Zwei der Männer, etwa Mitte Zwanzig, tranken Bier, ein dritter hielt eine Flasche Wein in der Hand, die er einer der Frauen reichte. Ein Mädchen rauchte, ein anderes biss gerade herzhaft in einen Burger.
    Victoria beachtete sie kaum, weil sie die Boote faszinierten. Am Ende des Steges drehte sie um, um zurück zum Anfang zu laufen, doch eine bekannte Stimme hielt sie auf.
    »He, Victoria, was machst du hier?« Einer der jungen Männer sprang vom Geländer und lief auf sie zu. Francisco legte den Kopf schief, während er immer näher kam und auf ihre Antwort wartete.
    »Ich mache einen Spaziergang«, erwiderte Victoria und merkte, dass sie hoffnungslos errötete. Glücklicherweise konnte sie es auf die Sonne schieben, die ihr direkt ins Gesicht schien, falls jemand fragen sollte. Aber niemand fragte.
    »Magst du die Boote?«, wollte stattdessen der junge Mann wissen.
    »Ja.«
    Er zog die Augenbrauen nach oben. »Ich finde, sie sind wie Menschen, haben eine Vergangenheit, Träume und Hoffnungen. Und eine Seele.«
    Victoria ärgerte sich, dass sie sich aufführte wie ein völlig verunsicherter Teenager, der auf den Mund gefallen war. Sie war immerhin eine erwachsene Frau, selbst wenn das Erlebnis, die »Katastrophe«, sie völlig verändert hatte. Doch wenn sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen wollte, musste sie unbedingt versuchen, einigermaßen normal aufzutreten. Dann würde ihr Leben hoffentlich auch wieder etwas normaler werden. Deshalb war sie doch hier.
    »Ich bin leider noch nie mit einem Boot gefahren, aber sie sind wunderschön anzusehen.« Sie gab sich Mühe, ihrer Stimme einen festen und warmen Klang zu verleihen. Das war schon viel besser.
    Er registrierte es mit erfreutem Blick. »Wenn du willst, nehme ich dich auf meinem Boot mit. Es wird dir gefallen.«
    »Vielleicht«, entgegnete sie mit einem Lächeln und wandte sich ab. Doch er hielt sie fest.
    »Ernsthaft. Ich habe ein Boot, es ist da vorn.« Er zeigte auf ein stattliches Segelschiff, das rechter Hand einige Meter vor ihr in den Wellen schaukelte. »Es heißt ›Rainbow‹.«
    »Es ist groß«, stellte Victoria fest und ärgerte sich erneut, dass ihr keine bessere Erwiderung eingefallen war.
    Er lachte. »Groß und schnell und schön. Komm morgen früh bei Sonnenaufgang her, dann fahren wir zusammen raus. So früh am Morgen ist es auf dem Meer am schönsten.«
    Sie antwortete nicht, sondern runzelte die Stirn. Sie hatte keine Ahnung, ob er es ernst meinte und sie die Einladung tatsächlich annehmen sollte. Deshalb hüllte sie sich in Schweigen und betrachtete stumm das Wippen des Segelmastes in den leichten Wellenbewegungen.
    Er schien nicht zu bemerken, wie ungeschickt sie sich fühlte, denn er ließ nicht locker. »Du musst auch keine Angst haben, dass das Boot untergeht. Ich habe es selbst gebaut, es ist sicher, garantiert.«
    »Wieso kann ein Mann, der auf dem Markt Tomaten verkauft, Boote bauen?«, fragte sie erstaunt.
    »Weil ich in Wahrheit ein Bootsbauer bin. Das mit den Tomaten betreibe ich nur nebenbei, um den Betrieb meiner Eltern fortzuführen. Bootsbauer ist der Beruf, den ich gelernt habe. Die ›Rainbow‹ war mein Meisterstück. Aber das mit den Tomaten mache ich auch gern. Vor allem, wenn ich sie einer wunderschönen Frau wie dir verkaufen kann.« Er

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