Der geduldige Tod (German Edition)
Badeanzug in eine Tasche, außerdem ein Badetuch, Sonnencreme und ausreichend Wasser zum Trinken. Im Kühlschrank fand sie bei ihrer Suche nach Leckereien, die sie zu dem Ausflug beisteuern konnte, die Feigen, die ihr Francisco vor zwei Tagen gegeben und die sie noch gar nicht probiert hatte. Jetzt steckte sie sie in den Mund. Sie waren perfekt, reif und süß.
Danach prüfte sie, ob ihr Haar eventuell einen neuen Schnitt benötigte. Als sie feststellte, dass das, was sie auf dem Kopf trug, durchaus noch ganz passabel aussah, ging sie voller Vorfreude unter die Dusche. Sie stellte gerade den Wasserhahn ab, als sie plötzlich ein Geräusch hörte. Es klang, als wäre ein Glas umgefallen.
Mit einem Schlag war ihre Freude vorüber. Ihr Herz begann zu rasen.
Zitternd öffnete sie den Duschvorhang und lugte um die Ecke. Im Badezimmer war niemand. Doch als sie durch die Tür, die nur angelehnt war, ins Nebenzimmer sah, erblickte sie einen Schatten, der durch das Wohnzimmer huschte. Er verdunkelte für einen winzigen Moment den Eingang, dann verschwand er wieder.
Fieberhaft überlegte sie, was sie als Waffe benutzen konnte. Ihr Blick irrte durch den kleinen Raum und blieb an der Nagelfeile hängen, die auf dem kleinen Tischchen neben dem Waschbecken lag. Mit klopfendem Herzen nahm sie sie zur Hand, griff nach dem Badetuch am Haken und wickelte es um ihren dünnen Körper. Dann stieg sie so lautlos wie möglich aus der Dusche.
»Wer ist da?«, rief sie in die Wohnung und bemühte sich, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen.
Niemand antwortete. Stattdessen ertönte ein weiteres Geräusch, als würde jemand etwas von einem Teller nehmen.
»Ist da jemand?«, fragte sie erneut. Zitternd tapste sie vorwärts, eine nasse Spur auf dem Boden hinterlassend. »Wer ist da? Sind Sie es, Señora Rodriguez?«
Sie erhielt keine Antwort.
Sie war jetzt an der Tür angelangt und lugte vorsichtig ins Wohnzimmer. Es war niemand zu sehen. Das Fenster stand offen, die Gardine wehte im Wind.
Da blickte sie zum Tisch – und entspannte sich sofort. Auf dem Tisch, vor dem Teller mit den Keksen, die sie im Schrank gefunden hatte und morgen auf den Segeltörn mitnehmen wollte, saß die Katze und tat sich an den Keksen gütlich.
»He, Gafas, was treibst du denn hier?«
Die Katze, die wegen der Musterung um ihre Augen den Namen »Gafas« erhalten hatte, was auf Deutsch »Brille« bedeutete, ließ sich bei ihrem Mahl nicht stören. Sie lief nicht einmal weg, als Victoria ganz nah an sie herangekommen war und über ihr weiches Fell streichelte.
»Ausgerechnet heute lässt du dich von mir anfassen«, murmelte sie und kraulte das Tier hinter den Ohren. Gafas ließ von den Keksen ab und schnurrte zufrieden zu Victorias Berührungen. »Du merkst wohl, dass ich heute glücklicher bin als sonst.«
Gafas schnurrte zustimmend.
»Weißt du, ich mag den Francisco. Er ist süß.« Sie lächelte. »Auch wenn das die Männer nicht gerne hören, wenn wir Frauen sagen, dass sie süß sind. Aber er ist es wirklich.«
Gafas sah sie aus genüsslich zusammengekniffenen Augen an, bedachte Victoria jedoch mit keiner Antwort.
»Ja ja, du hast es gut, liegst den ganzen Tag in der Sonne, klaust ein paar Kekse und lässt dich verwöhnen. Du musst dir keine Gedanken um deine verkorkste Vergangenheit mit einem Serienmörder machen, der dir das Leben ruiniert hat.« Ihre Hand spürte das Fell der Katze kaum. Sie war nach der Operation zu 78 Prozent gefühllos, obwohl man ihr gesagt hatte, dass nahezu alle Sehnen und Nerven repariert werden konnten. Der Schaden war dennoch zu groß gewesen. Die andere Hand mit 85 Prozent Gefühl und Beweglichkeit galt immerhin als fast gut regeneriert.
Als hätte sie etwas verschreckt, fuhr die Katze plötzlich auf, sprang vom Tisch und auf den Ast des Pfirsichbaumes neben dem Balkon. Danach verschwand sie mit einem geschickten Sprung in der Wärme der Nacht.
Victoria stellte die restlichen Kekse auf den Balkon, wo die Katze sie am Morgen weiterfressen konnte. Dann brachte sie die Nagelschere zurück ins Bad, duschte sich erneut – dieses Mal ohne Zwischenfall – und ging danach ins Bett.
Auf den nächsten Morgen war sie wesentlich besser vorbereitet als auf den vom vergangenen Segelausflug. Der Wecker klingelte rechtzeitig, so dass Victoria es pünktlich zum Sonnenaufgang bis zu Franciscos Boot schaffte.
Der hatte bereits die Kombüse mit Essen vollgepackt, als wolle er eine ganze Kompanie hungriger Matrosen
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