Der Gefährte des Wolfes: Tristan (German Edition)
Großmutter aufgezogen worden, die nicht mit liebevollen Berührungen gespart hatte, und deshalb wartete sein Körper nicht immer darauf, bis sein Verstand sich entschieden hatte, ob es eine gute Idee war, mit Körperkontakt zu reagieren.
»Vielen, vielen Dank, Conrad. Das wäre super!«, rief Tristan.
Steif wie ein Brett stand Conrad da, Tristans Arme fest um seinen Oberkörper geschlungen. Doch als Tristan keine Anstalten machte, die Umarmung zu lösen, entspannte sich Conrad ein wenig und legte seine Hände auf Tristans Rücken. Und mit einiger Verzögerung neigte er auch den Kopf ein wenig nach vorne und legte ihn für einen Moment in Tristans Halsbeuge. Die zarte Haut und die feuchten Locken rochen angenehm nach Kokosnuss und Lilien.
»Das ist kein Problem«, sagte Conrad aufrichtig. Er mochte diesen Mann und er spürte instinktiv, dass Tristans Ankunft vorherbestimmt war. Der energiegeladene Brite war nicht durch Zufall hier. Ob es ihm tatsächlich gelang, den Fluch zu brechen, stand noch in den Sternen, aber völlig egal, wie die Sache ausging, Tristans Platz war hier, an der Seite seines Herrn.
Nachdem sie die Umarmung gelöst hatten, rannte Tristan den Gang entlang zur Bibliothek, während Conrad in die andere Richtung ging, um das Mittagessen für ihn vorzubereiten. Mitten im Türrahmen erstarrte Tristan jedoch, als sein Blick auf das Buch fiel, in dem er letzte Nacht gelesen hatte.
Bilder und Empfindungen, die er bis jetzt für einen Teil seiner Träume gehalten hatte, überfluteten ihn. Er erinnerte sich daran, dass er sich letzte Nacht hierher geschlichen hatte, weil er der Verlockung der vielen Bücher nicht hatte widerstehen können.
Der Wälzer, der neben dem Ledersessel lag, war bereits das dritte Buch gewesen, das er gestern durchgesehen hatte. Er wusste noch, dass es ihm sehr schwer gefallen war, die Augen offen zu halten, und er deshalb beschlossen hatte, sie für ein paar Minuten auszuruhen.
Das Nächste, woran er sich danach erinnern konnte, war, dass er oben in seinem Bett aufgewacht war. War er so müde gewesen, dass ihm schlicht entfallen war, wie er zurück in sein Zimmer gegangen war? Oder hatten seine Träume, wie er von Benjamins starken Armen fest und sicher gehalten wurde, doch mehr mit der Realität zu tun gehabt, als mit seiner überaktiven Libido, die er erst dafür verantwortlich gemacht hatte?
Ein diskretes Hüsteln hinter ihm riss Tristan aus seinen Grübeleien.
»Oh, Verzeihung, Conrad«, entschuldigte er sich und trat ins Zimmer, damit der Butler eintreten und ein großes Tablett auf dem Schreibtisch abstellen konnte.
»Ist alles in Ordnung, Master Northland?«, fragte Conrad und verschränkte formvollendet die Hände hinter dem Rücken.
»Hm-hm, ja...«, murmelte Tristan abwesend, »alles okay. Ich überlege nur gerade, wo ich heute anfangen soll. Oh, und bitte nennen Sie mich Tristan. Meine Lehrer haben mich immer Master Northland genannt und es gibt mir immer das Gefühl, wieder sechs Jahre alt zu sein.«
»Wie Sie wünschen. Dann überlasse ich Sie jetzt Ihren Büchern.« Conrad verneigte sich knapp und zog sich dann höflich aus dem Zimmer zurück.
Tristan nahm sich ein Stück von dem knusprigen Brot, belegte es mit je einer Scheibe Truthahn und Käse und schlenderte zum Bücherregal hinüber. Während er aß, überflog er nur die Buchtitel, da er das wertvolle Material nicht mit seinen fettigen Fingern berühren wollte.
Eine Mappe, bis oben hin vollgepackt mit losen Papieren, die ihm letzte Nacht nicht aufgefallen war, erregte seine Aufmerksamkeit. Tristan legte das vergessene Sandwich zur Seite und wischte sich die Hände an seiner Jeans ab, ehe er die Ledermappe aus dem Regal zog. Vorsichtig balancierte er sie zum Schreibtisch hinüber, damit die losen Zettel nicht herausfielen.
Er öffnete die Mappe und begutachtete das erste Blatt. Das Papier war vom Alter vergilbt und die Ecken wölbten sich bereits, aber sonst schien es sich in einem guten Zustand zu befinden. Tristan entschied, dass er das Blatt einigermaßen gefahrlos anfassen konnte, also nahm er es behutsam aus der Mappe heraus, wobei er es sorgfältig vermied, die mit Tinte beschriebenen Stellen zu berühren.
1837 stand auf dem Kopf des Blattes. Offensichtlich hatte er hier ein Tagebuch oder eine persönliche Notizsammlung von einem von Benjamins Vorfahren in der Hand. Der Inhalt handelte vom Kampf gegen den Teufel, womit vermutlich der Kampf gegen die Lykanthropie gemeint war.
Bereits auf der
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