Der Gefangene der Wüste
reitest du heimlich in der Nacht davon? Hast du den Teufel in dir?«
Saada schwieg. Sie sah mit verschleierten Augen wie in weite Ferne und schien die Worte ihres Vaters nicht zu hören.
Was ist mit mir? dachte sie. Ich kenne mich nicht mehr. Mein Herz ist wie mit Musik gefüllt. Mein Blut ist ein kochender Bach. Meine Augen sehnen sich nach seinen Augen … meine Ohren lauschen seiner Stimme … meine Hände zittern unter dem Druck seiner Hand …
O Allah, mein Herz ist wie in Honig getaucht –
Die vergangene Nacht.
Als Dr. Bender wieder abgefahren war, hatte sie ihm nachgeblickt, bis der kleine Jeep in der Staubwolke auf der Wüstenpiste unterging. Dann hatte sie ihre Hand an die Lippen gelegt, die Hand, die er berührt hatte, und so träumte sie lange und war so selig glücklich-unglücklich, bis Ali, der Sohn des toten Abdallah, sie anstieß, scheu, unterwürfig, denn sie hatte auf mehrmalige Fragen nicht reagiert.
»Was soll ich tun, wenn der Hakim kommt?«
»Sag ihm, Abdallah schläft. Er soll ihn nicht stören.«
»Und morgen? Wenn mein Vater nicht mehr im Haus ist?«
»Dann schreist du, man habe ihn gestohlen.«
»Einen sterbenden Mann?«
»Es wird ein großes Rätsel sein. Du mußt nur Mut haben zu lügen.« Als sie nach Hause kam, schwieg Achmed von dem Besuch des weißen Arztes. Aber er ließ sie einschließen, als es dunkel wurde, so wie man einen Edelstein in einem eisernen Schrank versteckt. An den dicken Rosenstöcken kletterte sie herunter, holte Nama aus dem Stall, sattelte ihn und schlich in die Kleiderkammer ihres Vaters, um das Reitzeug zu holen. Auch den Dolch nahm sie mit und ein Gewehr mit silberbeschlagenem Kolben. Dann war sie losgeritten, den Spuren Alis nach, der mit dem Kamel den toten Vater zu dem weißen Hakim brachte.
Ich will ihn sehen, hatte sie gedacht. Nur sehen, von weitem belauschen. Und mein Herz wird in der Brust tanzen.
Seradji Achmed blieb vor Saada stehen. Er stampfte auf den Boden und holte sie damit in die Wirklichkeit zurück.
»Er ist gekommen –«, sagte sie schlicht. Achmed gab es einen Stich. Er stöhnte auf.
»Du hast ihn gesehen?«
»Ja.«
»Und gesprochen?«
»Ja.«
»Wo?«
»Irgendwo –«
»Und er hat dein Herz weggenommen –«
»Ich habe es ihm nachgeworfen, Vater.«
»Du warst in der Nacht bei ihm?«
»Ich wollte zu ihm. Aber dann verließ mich der Mut.«
»Ich werde ihn zermalmen!« Achmed ballte die Fäuste und schüttelte sie hoch über seinem Kopf. »Ich werde ihn zerfleischen wie ein Geier! Stückweise werfe ich ihn den Hyänen vor! Bei Allah schwöre ich es!«
»Das ist ein dummer Schwur.« Saada schnallte den Gürtel mit dem Dolch ab und warf ihn auf den Boden. »Sein Leben ist mein Leben. Du müßtest mich auch töten.«
»Du bist verrückt, Saada!«
»Ich liebe ihn wie die Erde den Wassertropfen, wie der Vogel die Luft, wie die Sterne den Himmel.«
Seradji Achmed raufte sich die Haare, er brüllte noch vieles an diesem frühen Morgen, aber Saada hörte ihn nicht. Sie saß am Fenster und starrte hinaus in die Wüste, über der die Sonne aufging, gnadenlos und doch herrlich in ihrer tötenden Pracht.
Zitternd vor Wut und väterlicher Angst, rannte Seradji Achmed hinaus.
Seine Rache folgte sofort, eine Rache der Ohnmacht.
Um zehn Uhr vormittags tauchten plötzlich vor dem Camp XII vierzig vermummte Reiter auf. Mit ohrenbetäubendem Geschrei jagten sie von allen Seiten heran, ritten ein paar verdatterte Ölarbeiter nieder, warfen Brandfackeln auf die Barackendächer, zündeten das Magazin an und sprengten den Ölturm ›Liberté II‹ in die Luft. In dem schreienden Durcheinander des Überfalls hatten vier Reiter Zeit genug, die Sprengladung anzubringen und zu zünden. Zwei Minuten, nachdem die unbekannte wilde Horde wieder in der Wüste verschwunden war, krachte der Bohrturm zusammen und begrub drei Arbeiter unter den verbogenen Eisengerüsten.
Die Telefone klingelten, der Telegraf in der Funkbude rasselte.
Überfall auf Camp XII. Drei Schwerverletzte, neun Leichtverletzte. Keine Toten. Unbekannte Reiter zerstörten Bohrturm und zwei Baracken.
In Hassi-Messaoud gab die Distriktleitung Alarm. Von Ouargla aus setzte sich eine Kolonne von zehn Lastwagen mit Soldaten der algerischen Volksarmee in Marsch, Öl – das war auch flüssiges Gold für die Regierung in Algier. So schön der Patriotismus ist … Geld in den Kassen ist wichtiger.
In Algier bat der Direktor der ›Sahara-Oil‹ um eine Besprechung mit dem
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