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Der Gefangene der Wüste

Der Gefangene der Wüste

Titel: Der Gefangene der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gehört.«
    »Nichts habe ich gehört … und Sie haben nichts gesagt! Verstehen wir uns, Doktor?«
    »Nein.«
    »Dann muß ich klarer sprechen.« Serrat kam näher, ein Turm aus Knochen und Muskeln. »Es gibt diesen Toten nicht … und ich zerquetsche Ihnen den Schädel, Doktor, wenn Sie trotzdem behaupten, er hätte hier auf dem Tisch gelegen –«
    Dr. Bender brauchte ein paar Augenblicke, um mit der neuen Situation fertig zu werden.
    Er hatte Schwierigkeiten erwartet, als er in das Camp XI geflogen war. In Ouargla hatte man es ihm bei der Hauptverwaltung der Ölgesellschaft ungeschminkt gesagt: »Wenn Sie in der Wüste sind, dürfen Sie nicht mehr nach gewohnter Logik denken. Dort ist alles anders. Vor allem die Menschen. Unsere Ölbohrer sind eine Sorte für sich. Wenn Sie sich da durchbeißen wollen, müssen Sie Löwenzähne haben. Glauben Sie nicht, daß man Sie dort, auch wenn Sie Arzt sind, wie einen Retter empfängt.«
    Die vergangenen Tage hatten das bewiesen, aber was er jetzt erlebte, übertraf alle Vorstellungen. Pierre Serrat verbot ihm, einen Toten zu sezieren.
    Dr. Bender deckte ein Tuch über den aufgeschnittenen Leib Abdallahs. Das hemmte zwar nicht den schrecklichen Geruch, aber verringerte den Ekel, den der Anblick erzeugte. Cathérine war ein paar Schritte zurückgewichen und trank in der Ecke des Zimmers hastig ein paar Schlucke aus einer Flasche Mineralwasser. Ihre Kehle war wie aus rissigem Leder, aus dem Magen würgte die Übelkeit ununterbrochen nach oben.
    »Ich sage zum letzten Mal, Serrat: Gehen Sie hinaus! Sofort!«
    »Und ich sage zum letzten Mal: Diesen Toten da gibt es nicht.«
    »Sie sind verrückt!«
    »Es bliebe zu überlegen, wer von uns beiden verrückt ist, Doktor.« Serrat zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Tisch. »Geben Sie mir diesen stinkenden Kadaver heraus, ich begrabe ihn, und Sie vergessen, was Sie gesehen haben. Das ist ein Angebot und mein letztes Wort.«
    »Ich denke nicht daran.« Dr. Bender stellte sich wie schützend vor den armen, aufgeschlitzten Abdallah. »Das hier ist ein Hadjar-Toter. Sie wissen, was das bedeutet?«
    Serrat verzog den breiten Mund. Und ob ich das weiß, mein Junge, dachte er. Laut sagte er: »Es gibt keine Hadjar-Krankheit im Gebiet von Bou Akbir.«
    »Ach nein!« Dr. Bender schien zu ahnen, was Serrat zu dieser widersinnigen Handlung trieb. Plötzlich erkannte er, welche Mauer des Schweigens er einzustoßen begann, wie gefährlich es war, die Wahrheit zu zeigen mit dem herauspräparierten Magen und den Därmen Abdallahs.
    Man wollte hier nichts von der tödlichen Krankheit wissen. Man wollte mit dem lautlosen Tod Seite an Seite leben, um die guten Francs zu verdienen. Das Geld war wichtiger. Die Bordellmädchen in Ouargla waren wichtiger. Der Schnaps in den Bistros. Das rauhe Männerleben.
    Die Hadjar-Krankheit. Zum Teufel mit ihr. Sie bedeutete im Notfall Schließung der Bohrstellen, Quarantäne im Hospital von Ouargla, vielleicht sogar in Algier, Herumliegen in abgesperrten Zimmern wie Pestkranke. Drei, vier Wochen, oder zwei Monate, wer konnte das sagen? Keinen Schnaps in dieser Zeit, keinen vollen Lohn, und vor allem – das war am schlimmsten – keine Weiber. Und alles nur, weil ein junger Arzt sagt: ›Die Leute müssen unter Beobachtung gestellt werden!‹
    Jungs, man sollte diesen Doktor einfach an die Wand werfen.
    »Was Sie machen, ist Selbstmord, Serrat«, sagte Dr. Bender rauh. »Dieser Tote ist an einer Krankheit gestorben, gegen die es bis heute kein Mittel gibt. Sie ist ansteckend, das wissen wir. Wenn in Bou Akbir dieser Mann daran starb, ist anzunehmen, daß noch mehr Erkrankungen auftauchen. Abdallah hatte täglich Kontakt mit vielen Menschen. Unsere Einkäufer holen aus der Oase Gemüse und Obst … wollen Sie, daß sie die Krankheit in die Lager schleppen?«
    »Wozu diskutieren?« Serrat kam einen Schritt näher. Ein Turm, der sich anschickte, auf Dr. Bender zu stürzen. »Geben Sie den Toten her!«
    »Ich denke nicht daran.«
    »Auch gut. Dann wird er geholt.«
    Serrat machte noch einen Schritt, aber dann blieb er stehen. In der Ecke des Zimmers hatte Cathérine wieder ihre Pistole in der Hand, und die kleine schwarze Öffnung zeigte genau auf Serrats breite Stirn. Der Finger war gekrümmt … nur ein Millimeter trennte Serrat vom Tod, ein winziges Fingerzucken. So eng liegen Leben und Sterben beieinander.
    Serrat verzog den Mund zu einem verlegenen Grinsen. Mit hängenden Armen, aber verkrampften Fäusten stand er

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