Der Gefangene der Wüste
sei mein Zeuge: Ich treibe es euch aus!«
Aller Zorn war sinnlos, alles Brüllen verflatterte in der heißen Luft – Saada war auf und davon. Ohne Pferd, ohne Reitkamel, denn dort wachten zwei Stallknechte und hatten ihre Pflicht getan. Dafür fehlte ein Gefährt, das in der Oase Bou Akbir zunächst große Heiterkeit, später aber Achtung erregt hatte: ein Fahrrad.
Es gehörte dem Buchhalter Achmeds, der auch die Schreibgeschäfte der Oasenverwaltung betrieb. Amar, so hieß der Mann, hatte das Vehikel aus Algier mitgebracht, wo er die Schule für Büroarbeiter mitgemacht hatte. Tagelang fuhr er durch Bou Akbir und ließ sich bewundern oder auslachen, ganz, wie man ihm gesinnt war. Das wurde anders, als Amar einen Dieb fing, mit seinem Fahrrad. In den engen Gassen war eine Verfolgung nur zu Fuß möglich, und der Dieb war ein guter Läufer. Gegen das Fahrrad aber hatte er keine Chancen. Amar überholte, überwältigte ihn und brachte ihn zu Achmed zum Gericht. Seitdem genoß Amar große Hochachtung in Bou Akbir.
»Mein Augenlicht, meine Seele hat sie gestohlen!« schrie Amar und rannte Achmed jammernd nach. »Sie wird das Rad zerstören! Es ist empfindlicher als ein Kamel! Achmed, ich verfluche deine Tochter!«
Amar bekam eine Tracht Prügel und verkroch sich ebenfalls in der Nachbarschaft. Scheich Achmed aber ließ zehn starke Männer kommen, hielt ihnen einen Vortrag über den weißen Teufel Dr. Bender, der das Herz seiner Saada gestohlen habe, ließ aufsitzen, und wie eine Sturmwolke stürmten die elf Männer auf ihren Reitkamelen in die Wüste hinaus.
Es war kurz nach der Arbeitsaufnahme der Frühschicht, als Saada auf dem Fahrrad in den Sanddünen auftauchte und mühsam die festgestampfte Straße hinunterfuhr zu Camp XI. Serrat, der am Fenster der Verwaltungsbaracke stand und gerade die Nachricht bekommen hatte, daß die Distriktleitung in Ouargla ihn für 10 Tage nach Algier schicken wollte, um einen neuen Bohrkopf abzuholen und ihn in eine veränderte bessere Bohrtechnik einzuführen, blieb der Mund offen.
»Das ist doch nicht wahr«, sagte er verwirrt. »Kinder, das ist die tollste Fata Morgana, die ich je gesehen habe.«
Aber es war keine trügerische Luftspiegelung … es war wirklich Saada, die auf einem Fahrrad in das Camp rollte und vor der Baracke vom Sattel sprang. Sie trug europäische Kleidung … eine Bluse, Blue Jeans und Sandalen. Um den Kopf hatte sie ein Tuch geschlungen, unter dem die schwarzen langen Haare bis zu den Hüften flatterten.
Molnar und der zweite Vorarbeiter Laikanen, ein Finne, traten neben Serrat und starrten hinaus. »Die Kleine hat Mut«, sagte Molnar. Er schnalzte mit der Zunge und machte eine unflätige Bewegung. »Wenn wir sie durch alle Betten wandern lassen, weiß sie später nie, wer's richtig war.«
»Wer sie anfaßt, kann sich ein Loch hinterm Haus aussuchen!« knurrte Serrat. Er nahm seine Mütze, setzte die dunkle Sonnenbrille auf und ging hinaus. An der Tür stieß er mit Saada zusammen, die gerade ins Haus wollte.
Sie blieben voreinander stehen und sahen sich eine Weile stumm an. Serrat überragte Saada wie ein Turm einen Kieselstein.
»Ich möchte den Doktor sprechen«, sagte Saada endlich mit einer fast kommandierenden Stimme. Serrats Gesicht verzog sich.
»Der Doktor ist tot«, sagte er grob.
Im Gesicht Saadas verzog sich kein Muskel. Nur ihre schwarzen Augen wurden stechender.
»Wann starb er?«
»Weiß ich es? Er ritt vorgestern in die Wüste und ist seitdem verschollen. Mit anderen Worten: Er ist tot! Im Erg Tifernine überlebt keiner! Das weißt du auch!«
»Das ist eine Lüge.« Saada sagte es so ruhig, als spreche sie vom Wetter. »Der Doktor lebt! Ich fühle es –«
»Es ist ein Jammer.« Serrat grinste breit. »Deine Gefühle sollten woanders hinrutschen. Was willst du überhaupt hier?« Er packte Saada am Arm und zerrte sie ins Haus, nebenan in ein Zimmer, das neben den Räumen von Ingenieur de Navrimont lag.
Mit de Navrimont stand es jetzt ganz schlimm. Der Tod Dr. Benders, den er ohne Einschränkung glaubte, hatte ihn vollends entnervt. »Wir alle werden von diesem Mistland gefressen!« schrie er im Suff. »Flöhe sind wir. Nur Flöhe! Vertrocknen werden wir. Mumifizieren! Flüssigkeit her! Flüssigkeit, ihr Schurken!«
Unter Flüssigkeit verstand er Pernod oder Absinth, Kognak oder Calvados. Er soff es wie Wasser. Niemand kümmerte sich um ihn … er war ein Wrack, das man duldete wie die Abfälle hinter den Schuppen. Der einzige
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