Der Gefangene der Wüste
Unterschied war nur, daß ihn die Geier nicht fraßen. Aber auch das lag nicht mehr in weiter Ferne.
Pierre Serrat erkannte seine große Stunde. Von Cathérine, die noch immer im Schuppen bei Bender war und sich nicht von ihm trennen konnte, würde er die versprochenen Francs bekommen, im Lager war Ruhe, denn niemand würde mehr da sein, der nach Dr. Bender forschte, und an der Küste gab es ein ganz großes Geschäft für ihn. Dort suchte man in den Hafenbars süße Mädchen, genau den Typ, den Saada verkörperte: Wildheit aus der Wüste und ein Körper, wie Mohammed ihn von den Houris im Paradies beschrieb.
Zehntausend neue Francs, kalkulierte Serrat. Darunter gebe ich sie nicht her. Das ist sie auch wert. Ein Problem wird es nur sein, sie morgen auf die Reise nach Algier mitzunehmen. Man kann sie ja nicht in die Tasche stecken wie ein Feuerzeug.
»Hör einmal zu, kleine Wüstenkatze«, sagte er freundlich zu Saada. Sie stand mitten im Zimmer, ohne einen Funken Angst, die Hände in die Seite gestemmt. Wer die Umgebung vergaß, hätte sich nicht gewundert. Sie sah aus wie Tausende andere junge, moderne Mädchen. Hier aber, mitten in der Sahara, war ihr Auftritt verblüffend. »Du hast einen Riecher. Raubtiere wittern ja alles. Gut also … der Doktor lebt. Aber er ist nicht da. Er untersucht in Camp XII die Verwundeten, die eure Hundesöhne auf dem Gewissen haben. Und morgen fliegt er nach Algier.«
Saada sah Serrat kritisch an. Ihr stechender Blick aus den dunklen Augen durchbohrte ihn förmlich. Serrat hielt der Musterung stand. Er kaute dabei an der Unterlippe.
»Nach Algier? Warum?«
»Er verläßt die Wüste.«
»Das ist nicht wahr!« Wie ein Panther sprang sie vor und warf sich gegen Serrat. Aber ein Turm fällt nicht durch einen Steinwurf … er fing sie auf und hielt sie fest und drückte sie gegen die Wand.
»Es ist wahr!« schrie er in ihr zuckendes Gesicht. »Er hat gekündigt. Ganz plötzlich. Will zurück nach Europa. Als er von deinem Vater, diesem Halunken, zurückkam, war er wie in Trance. Es fehlte nur noch, daß er losheulte wie ein Weib. Und dann rief er in Ouargla an und bat um die Lösung aller Verträge.«
»Und morgen fliegt er?«
»Ja. Die Koffer sind schon weg mit dem Hubschrauber.«
»Das glaube ich nicht.«
»Komm her, du Kröte, und überzeug dich!« Serrat nahm sie an die Hand wie ein unartiges Mädchen, zog sie aus dem Zimmer, über den Flur, hinüber zum Krankentrakt und stieß die Tür von Dr. Benders Wohnraum auf.
Alles kahl und leer. Kein Buch mehr in den Regalen, kein Stück Papier. Serrat ging zu den Schränken und riß sie auf.
Kein Anzug mehr, keine Wäsche, kein Koffer. Nur Leere.
»Glaubst du es jetzt?« fauchte Serrat. »Der Besuch auf Camp XII ist sein letzter.«
Saada setzte sich langsam auf den Stuhl hinter Benders Tisch. Ihr kampfesmutiges Gesicht wurde weich und kindlich. »Wann kommt er zurück?«
»Am Abend. Weiß ich es?«
»Kann ich hier auf ihn warten?«
»Von mir aus. Wenn du dir von Cathérine das Gesicht zerkratzen lassen willst …«
»Ich bin stärker als sie. Sie wird es nicht tun«, sagte Saada stolz. »Ich bleibe hier sitzen, bis er kommt. Ich verspreche Ihnen, das Haus nicht zu verlassen. Lassen Sie mich hier …«
In der Baracke klappten Türen. Molnar, der aus der Schreibstube kam, rief nach Serrat.
»Hier!« brüllte Pierre und riß die Tür auf. »Was gibt's?«
»Eine Sauerei!« schrie Molnar. »Funkmeldung von Versuchsturm ›Brigitte‹: Scheich Achmed mit zehn bewaffneten Männern ist auf dem Ritt zu uns. Er benimmt sich wie ein Irrer.«
»Mein Vater! O Allah! Er sucht mich!« Saada sprang auf und umklammerte Serrat von hinten. »Verstecken Sie mich! Schützen Sie mich! Sagen Sie ihm, ich sei nicht hier! Er darf mich jetzt nicht zurückholen nach Bou Akbir –«
»Nur Ruhe! Ruhe!« Serrats Gesicht wurde zum verwitterten, groben Stein. Nichts tue ich lieber, als dich verstecken, dachte er. Du bist mein Kapital. Und dann hatte er einen Gedanken, bei dem er sich am liebsten die Hand gedrückt hätte. Bist ein toller Bursche, Pierre, dachte er. Du mußt dich selbst bewundern.
Die Idee des Jahres war ihm gekommen.
»Bleib hier«, sagte er zu Saada und führte sie zum Stuhl zurück. »Rühr dich nicht, was du auch draußen hörst. Achmed wird nie hier ins Haus kommen, dafür sorge ich. Mit elf Männern werden wir schon fertig.«
Fünf Minuten später schrie vom Dach der Verwaltungsbaracke die Alarmsirene. Sie heulte zehnmal auf
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