Der Gefangene der Wüste
sie wüßte, dachte er schaudernd, was vielleicht gerade jetzt mit Dr. Bender geschieht …
»Bleib hier und warte«, sagte er. »Schlaf nachher. Ich suche mir woanders ein Bett. Und hab keine Angst, Mädchen … Serrat paßt auf.«
Er verließ schnell das Zimmer. Welch ein Schwein ist man doch, dachte er. Welch ein stinkender Hundedreck! Aber dann stand er in seinem Vorarbeiterzimmer vor den Fotos seiner Familie und senkte den Kopf.
Wer hatte damals Mitleid mit ihnen? Wer weiß, wie man sie umgebracht hat? Ob sie vorher gefleht und gebettelt hatten, auf den Knien vielleicht. Die Kinder …
Serrat knirschte mit den Zähnen. Sie ist 10.000 Francs wert, dachte er. Verfluchter Hund, denke nur daran. Du hast kein Herz mehr …
Bei Einbruch der Dunkelheit kam Cathérine vom Camp XII zurück. Vom Jeep ging sie sofort hinüber zum Schuppen.
Dort stand die Tür offen, der Raum war leer. Das Bett, der Stuhl, die Kiste, das Plastikgeschirr, der Waschständer … alles war weggeschafft.
In Cathérine brach ein Vulkan aus. Sie warf sich herum, streckte die Arme empor und rannte schreiend über den Platz.
»Wo ist er?« schrie sie. »Wo ist er? Ihr Schufte! Ihr verdammten Schufte. Wo – ist – er -?«
Ingenieur Alain de Navrimont hatte sich gerade gebraust und stand mit nacktem Oberkörper vor dem Spiegel, um seinen vier Tage alten Bart abzuschaben, als ihn das hysterische Geschrei Cathérines herumfahren ließ. Es war ein kleines Wunder, daß er an diesem Abend nicht nur nüchtern, sondern sogar für Dinge aufnahmefähig war, die er sonst in seinem Alkoholdunst überhaupt nicht hörte oder wahrnahm. Der Grund lag darin, daß er morgen früh mit Pierre Serrat nach el Kahla und dann weiter nach Hassi-Messaoud fliegen wollte, wo eine Versammlung der einzelnen Abschnittsleiter abgehalten wurde. Das war wieder so eine dämliche Idee von Oberingenieur Brennot, aber man konnte ihr nicht ausweichen. Serrat würde dann weiterfliegen nach Algier, und de Navrimont beneidete ihn darum. Nicht wegen der Abwechslung, nicht wegen der kühlen Brise des Meeres, des Sandstrandes, an dem man baden konnte, der wundervollen Köstlichkeit, sich in einem temperierten Badezimmer hinzustellen und sich kaltes, eiskaltes, herrlich erfrischendes Wasser über den Körper laufen zu lassen. Nein, das war es nicht … für de Navrimont war Algier eine einzige große Schnapsdestille und ein riesenhafter Puff. In den Gassen hinter dem Hafen, am Rande der Kasbah, in winkligen Sträßchen die Berge hinauf, da hausten die glutäugigen und feingliedrigen Mädchen, die für 20 Francs eine ganze Nacht lang keine Ruhe gaben und die Männer fündig werden ließen wie Ölquellen. Gab man ihnen 50 Francs, verrichteten sie Dinge, die in keinem Lehrbuch standen und die es selbst in Paris nicht zu kaufen gab.
Das war eben Afrika, und die Weiber hatten die Glut im Blut.
Ingenieur de Navrimont rannte ans Fenster und blickte in die fahle Dämmerung des Abends. In der Wüste dauert der Übergang vom Tag zur Nacht nie lange. Die Sonne taucht weg, als ersticke sie im Sand, die Felsen des Erg Tifernine färben sich lila und dann dunkelblau, der Himmel nimmt eine eigenartige verrostete Farbe an, dann wird es dunkel, als drehe jemand an einem Lichtregler, und plötzlich stehen Sterne am Himmel, wunderbar glitzernd und kalt … die Wüstennacht ist da.
Cathérine rannte über den Platz, die Arme hochgeworfen, und schrie noch immer. Aus der Küche rannten die Ölbohrer, der Schreiber Molnar hing aus dem Fenster und brüllte nach Serrat … aber der war schon da, bog um die Lazarettbaracke und griff sich das rasende Mädchen.
Er umfaßte sie in der Mitte, wie Schraubstöcke schnürten seine Arme ihren Leib ein, er hob sie hoch und trug die um sich Schlagende in die Verwaltungsbaracke.
Cathérine war wie von Sinnen. Sie hieb mit den Fäusten auf Serrat ein, kratzte ihn und biß um sich wie eine Wildkatze, die im Netz liegt, aber an dem Fleischberg Serrat war dies nur wie ein harmloser Hagel.
In ihrem Zimmer warf er Cathérine aufs Bett, und als sie nach ihrer Pistole greifen wollte, lachte er schallend und klopfte auf seine ausgebeulte Hosentasche.
»Hier, mein Schätzchen, hier. Du glaubst doch nicht, daß ich mich umbringen lasse?«
»Du Mißgeburt!« schrie Cathérine. Sie kroch über das Bett, zog die Beine an und hieb mit den Fäusten in ohnmächtiger Wut und grenzenloser Verzweiflung auf ihre Knie. »Wo ist er? Was habt ihr mit ihm gemacht? Habt ihr ihn
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