Der Gefangene
eine private Beerdigung mit Trauergottesdienst in McAlester beschränken, zu der nur geladene Gäste zugelassen waren. Lediglich ein paar enge Freunde und die Familie würden dort sein. Das Gefängnis teilte ihnen mit, sie könnten der Hinrichtung beiwohnen. Renee fühlte sich nicht dazu in der Lage, während Annette fest entschlossen war, das Ende mitzuerleben.
Die Nachricht verbreitete sich in Ada wie ein Lauffeuer. Peggy Stillwell hörte im Lokalfernsehen die überraschende Nachricht, dass ein Hinrichtungstermin für Ron Williamson angesetzt war. Obwohl sie sich darüber freute, war sie wütend, dass sie nicht informiert worden war. Man hatte ihr versprochen, sie könne bei der Hinrichtung zugegen sein, und genau das hatte sie vor. Vielleicht würde sie ja in ein paar Tagen einen Anruf erhalten.
Annette blieb für sich und versuchte, alles zu verdrängen. Ihre Besuche im Gefängnis wurden seltener und kürzer. Ronnie hatte den Verstand verloren. Entweder brüllte er sie an, oder er tat so, als wäre sie gar nicht da. Mehrmals ging sie schon nach fünf Minuten wieder.
13. Kapitel
Sobald die Gerichte von Oklahoma mit Rons Fall fertig waren und das Datum für die Hinrichtung feststand, wandten sich die Anwälte an das zuständige Bundesgericht. Damit begann eine neue Runde von Rechtsbehelfen. Dieses Verfahren nennt sich hubeas corpus. Der Terminus kommt aus dem Lateinischen und heißt in etwa »man kann die Person festhalten«, was bedeutet, dass ein Gefangener auf Antrag einem Richter vorgeführt werden muss, um die Rechtmäßigkeit der Haftfortdauer zu prüfen. Rons Fall wurde Janet Chesley zugewiesen, einer Anwältin der Behörde für die Strafverteidigung Mittelloser in Norman. Janet kannte sich mit solchen Haftbeschwerden aus und war daran gewöhnt, in letzter Minute hektisch Anträge zu stellen und Rechtsmittel einzulegen, während der Countdown für die Hinrichtung lief. Sie besuchte Ron, erklärte ihm das Verfahren und versicherte ihm, dass es einen Aufschub geben werde. Im Rahmen ihrer Arbeit führte sie häufig solche Gespräche. Ihre Mandanten waren dabei verständlicherweise nervös, aber am Ende gewann sie stets ihr Vertrauen. Der Hinrichtungstermin war eine ernste Sache, doch niemand wurde ohne Haftprüfung hingerichtet.
Ron war anders. Die offizielle Ankündigung eines Termins für seine Begegnung mit dem Tod hatte ihn noch tiefer in den Wahnsinn getrieben. Er zählte die Tage und war nicht in der Lage, auf Janets Zusicherungen zu vertrauen. Die Uhr lief weiter. Die Todeskammer wartete.
Eine Woche verging, dann noch eine. Ron betete viel und las in der Bibel. Er schlief lange und hörte auf zu schreien. Seine Medikamente wurden großzügig ausgegeben. Im Todestrakt war es ruhig, alles wartete. Den anderen Gefangenen entging nichts. Sie fragten sich, ob der Staat tatsächlich jemanden hinrichten würde, der so offenkundig den Verstand verloren hatte wie Ron Williamson.
Drei Wochen vergingen.
Der U.S. District Court für den östlichen Bundesgerichtsbezirk von Oklahoma hat seinen Sitz in Muskogee. 1994 gab es dort zwei Richter, von denen keiner viel für Habeas-Corpus-Sachen oder von Gefangenen angestrengte Verfahren übrig hatte. Die waren keine Seltenheit. Jeder Gefangene hatte Klagen. Die meisten beteuerten ihre Unschuld und beschwerten sich über die schlechte Behandlung. Die Gefangenen in der Todeszelle hatten richtige Anwälte. Manche kamen von großen Kanzleien, die unentgeltlich arbeiteten. Die Schriftsätze waren dick und kreativ und mussten ernst genommen werden. Dagegen vertraten sich die übrigen Gefangenen meist selbst und ließen sich bei ihren Schriftsätzen von den Amateurjuristen in den Rechtsbibliotheken der Gefängnisse beraten, die ihre fachkundige Meinung gegen Zigaretten verkauften. Wenn die Gefangenen keine Haftprüfung verlangten, beschwerten sie sich über schlechtes Essen, kalte Duschen, bösartige Wärter, enge Handschellen oder zu wenig Tageslicht. Die Liste war lang.
Die meisten Klagen waren nicht begründet und wurden sofort abgewiesen. Die nächste Instanz dafür war der Tenth Circuit Court of Appeals in Denver, das Bundesrevisionsgericht, das für den riesigen Bundesgerichtsbezirk zuständig war, zu dem auch Oklahoma gehörte.
Die von Janet Chesley eingelegte Haftbeschwerde wurde nach dem Zufallsverfahren Richter Frank Seay zugewiesen, der 1979 von der Carter-Regierung ernannt worden war.
Richter Seay stammte aus Seminole und war vor seiner Zeit als Bundesrichter
Weitere Kostenlose Bücher