Der Gefangene
über das Wochenende jedes einzelne Wort, das bei Rons Verhandlung gefallen war. Als sie am Montagmorgen zusammenkamen, war das Urteil einstimmig. Obwohl sie in politischer Hinsicht unterschiedlichen Richtungen angehörten, waren sie alle der Meinung, dass der Gerechtigkeit nicht Genüge getan worden war. Sie waren nicht nur davon überzeugt, dass die Verhandlung verfassungswidrig gewesen war, sondern glaubten, dass Ron möglicherweise unschuldig war.
Besonders interessant schien ihnen der Verweis auf The Dreams of Ada. Janet Chesley hob in ihrem Antrag stark auf das Traum-Geständnis ab, das Ron angeblich abgelegt hatte. Er hatte das Buch kurz nach seiner Verhaftung gelesen. Es befand sich noch in seiner Zelle, als er John Christian seine Version eines Gefängnistraums erzählte. Das sieben Jahre zuvor erschienene Buch war vergriffen, aber Vicky trieb Exemplare in Antiquariaten und Büchereien auf. Die drei lasen es in aller Eile und fanden ihren Verdacht gegen die Behörden von Ada bestätigt.
Da Richter Seay dafür bekannt war, dass er keine große Geduld mit Haftbeschwerden hatte, wurde Jim Payne vorgeschickt, um das Eis in der Williamson-Sache zu brechen. Richter Seay hörte aufmerksam zu, bevor Vicky und Gail ihm ihren Vortrag hielten. Alle drei waren davon überzeugt, dass das Verfahren wieder aufgenommen werden musste. Nachdem er sich ihre Argumente angehört hatte, erklärte sich Seay bereit, den Antrag zu prüfen.
Er kannte Bill Peterson, Barney Ward und die meisten der Leute in Ada. Barney war für ihn ein alter Kumpel, aber von Peterson hatte er noch nie viel gehalten. Dass die Verhandlungsführung schlampig und die Beweise dürftig waren, überraschte ihn nicht. In Ada geschahen seltsame Dinge. Der Richter hörte schon seit Jahren immer wieder vom schlechten Ruf der dortigen Polizei. Besonders beunruhigend fand er, dass Richter Ronald Jones das Verfahren einfach hatte laufen lassen. Schlechte Polizeiarbeit und eine voreingenommene Anklage gab es öfter, aber der erstinstanzliche Richter musste eigentlich für einen gerechten Prozess sorgen.
Er war auch nicht überrascht, dass das Revisionsgericht für Strafsachen die Verhandlung völlig in Ordnung gefunden hatte.
Schließlich war er davon überzeugt, dass der Gerechtigkeit nicht Genüge getan worden war. Er und seine Mitarbeiter begannen mit einer gründlichen Überprüfung der Sache. Dennis Fritz hatte den Kontakt zu Ron verloren. Er hatte seinem alten Freund einmal geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen.
Kim Marks und Leslie Deik fuhren nach Conner, um Dennis im Zusammenhang mit ihren Ermittlungen zu befragen. Sie brachten das Video mit dem Geständnis von Ricky Joe Simmons mit und spielten es ihm vor. Wie Ron war auch Dennis empört darüber, dass jemand anders den Mord gestanden hatte, für den sie beide verurteilt worden waren, und dass diese Information bei seiner Verhandlung nicht vorgelegt worden war. Er begann eine Korrespondenz mit Kim Marks, die ihn über die Entwicklungen in Rons Fall auf dem Laufenden hielt.
Da er in der Rechtsbibliothek sozusagen zum Inventar zählte, hörte Dennis alle Gerüchte aus dem juristischen Bereich und kannte die letzten Präzedenzfälle aus dem ganzen Land. Ihm und den anderen Amateuranwälten unter den Gefangenen entging keine Neuerung im Strafverfahren. Zu Beginn der Neunzigerjahre war zum ersten Mal von DNA-Tests die Rede, und er las alles, was er zu diesem Thema finden konnte. 1993 befasste sich eine Folge der Talkshow Donahue mit vier Männern, die durch DNA-Tests entlastet worden waren. Die Sendung fand vor allem in den Justizvollzugsanstalten ein breites Publikum und wurde zum Katalysator für eine Bewegung zugunsten unschuldig Verurteilter im ganzen Land.
Zu dieser Bewegung gehörte auch das 1992 von den New Yorker Anwälten Peter Neufeld und Barry Scheck gegründete Innocence Project. Die beiden richteten an der Benjamin N. Cardozo School of Law ein gemeinnütziges medizinisches Institut ein, an dem Studenten unter Aufsicht ausgebildeter Juristen Fälle bearbeiteten. Neufeld hatte sich zuvor lange Jahre in Brooklyn als Bürgerrechtsaktivist engagiert. Scheck war Experte für forensische DNA-Analyse und wurde als einer der Anwälte von O. J. Simpson berühmt.
Dennis verfolgte den Simpson-Prozess genau. Nach dessen Ende überlegte er, ob er Barry Scheck kontaktieren sollte.
Nachdem bei Amnesty International zahlreiche Beschwerden über den H-Trakt eingegangen waren, führte die Organisation
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