Der gefrorene Rabbi
Stange über dem Stand ihrer Mutter auf. Für einen groschn schaufelte sie das zerstoßene Eis in eingeschlagenes Papier und würzte es mit Melasse und Muskat, Ingwerpulver, Vanillesirup und Zitronensaft. Später sprenkelte sie auf Wunsch ihrer Kunden noch Mandeln, Rosinen oder flüssige Obstmarmelade darüber.
Sobald sie festgestellt hatte, dass es eine Nachfrage für ihr Produkt gab, beendete Jochebed ihre heimlichen Aktivitäten im Eishaus. Ohne Wissen ihres Vaters suchte sie Salman Pisgat in seinem Büro auf, dessen Wände mit orangefarbenen Rechnungen gepflastert waren. Im Austausch gegen die wenigen Pfund Eis, die sie für ihr Geschäft täglich benötigte, bot sie ihm eine äußerst einträgliche Beteiligung an ihrem Gewinn an. Beeindruckt von dem Einfallsreichtum, aber auch von der Schönheit der jungen Frau, schlug ihr der grauhaarige Eismensch einen ganz anderen Handel vor; doch als das Mädchen gar nicht zu wissen schien, worauf er hinauswollte, ging der alte Wüstling ein wenig beschämt auf ihre großzügigen Bedingungen ein. So begann Jochebeds Karriere als Kauffrau und Fabrikantin.
Es waren die Hundstage des Monats tammus, und so arm die Bewohner des Balut auch waren, sie kamen in Scharen, um eine paar Münzen für Jochebeds süßen Winter auszugeben. Geduldig standen sie Schlange, und dabei hing ihnen die Zunge heraus, so beschrieben es die gojim (die sich ebenfalls anstellten), als würden sie, Gott behüte, auf die Kommunion warten. Der Erfolg ihres Unternehmens beflügelte die junge Frau in ihrem Ehrgeiz, und sie besorgte sich Merkblätter mit Rezepten von den Buchhändlern am Ort, um ihr Produkt zu verbessern. Obwohl sie im Lesen genauso ungeübt war wie ihre Familie, machte sie sich daran, diese Schriften zu entziffern. Als sie ein wenig Geld beiseitegelegt hatte, erwarb sie aus dem Katalog eines Versandhauses einen sogenannten Gefrierkübel. Bei diesem Artikel handelte es sich um einen auf der Innenseite verzinkten Holzeimer mit einem zentralen Drehhaken zum Mischen von Eigelb, Sahne, Zucker und anderen exotischen Bestandteilen (Jasmin, Moschus), die sie hinzufügen wollte. Bei dem Vorgang war das Gefäß mit einem azurnen Burggraben aus Eis und Salmiak umgeben, mit einer Hand wurde gerührt und mit der anderen wurden die Kristalle weggekratzt, die sich auf dem Kübel bildeten. Die Arbeit war anstrengend, aber derlei war Jochebed natürlich nicht fremd, und sie war hingerissen davon, wie aus ihren Zutaten süßes Zuckerwerk entstand - eine alchemistische Verwandlung, die nicht weniger verblüffend war als die Wunder in den Geschichten ihres Vaters. Mit der Erweiterung ihres Sortiments wuchs auch der Umfang ihrer Produktion, und bald stapelten sich in der Kellerwohnung wie Farbtöpfe die randvollen Gefäße, deren Inhalt sie jeweils an einem Tag verkaufte.
Bald konnte sie einen bedeutenden Beitrag zum Familieneinkommen leisten, doch statt ihren Gewinn einfach zu überreichen, zog Jochebed es vor, ihren Eltern Dinge zu schenken, die sie sich selbst nie gekauft hätten, etwa eine Wäschemangel, einen Teekessel, ein Einhandmehlsieb und einen lackierten Kohleeimer für ihre reizbare Mutter. Dazu kam der umstrittene Ausgehrock aus Mohair mit Rüsche und die merzerisierten Baumwollstrümpfe, die Bascha Pua als sinnlose Verschwendung geißelte und zurückgeben wollte. Allerdings saß sie am tischa be-av mit einem Hauch von Hochmut auf der Frauen-galerie in der schul an der Vladastraße und trug sowohl Rock als auch Strümpfe. In derselben Synagoge konnte man auf einer der hinteren, den einfachen Arbeitern vorbehaltenen Bänke ihren Mann in einem nagelneuen Paar kniehoher Gämslederstiefel bewundern. Darüber hinaus machte sich Jochebed auf die Suche nach einem zuträglicheren Quartier für ihre Familie. Die Feuchtwanger-Sippe wollte Amerika verlassen und bald ihre Wohnung räumen, die aus zwei kleinen Kammern bestand und in demselben miefenden Mietshaus lag. Doch immerhin verfügte sie über ein Fenster zum Hof, der zwar ebenfalls stank, aber zumindest einige Meter vom Gifthauch der Zabludevestraße entfernt war.
Zu Bascha Puas Klagenkatalog gehörte auch der Vorwurf, dass ihre Tochter zu schwer arbeitete und sich nur gegen andere großzügig erwies, ohne sich selbst etwas zu gönnen. Aber für Jochebed war der Erfolg ihrer Mühen Lohn genug, und was das Fehlen von persönlichem Schmuck anging, so kam ihre Anmut im Kontrast zu ihrer schäbigen Tracht umso leuchtender zur Geltung. Es war eine
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