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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Teppichboden hinterlassen hatte. Hastig floh er Richtung Niedergang, der ihn zurückbringen würde in die kischkeß des Schiffs, wo er hingehörte. Wieder einmal empfand er nichts als Widerwillen gegen den weiblichen Körper, den er mit sich herumtragen musste. Dankten die Männer in der schul Gott nicht täglich dafür, dass sie nicht als Frau geboren worden waren? Und es linderte auch nicht seine Demütigung, sich daran zu erinnern, dass die Nichtjuden von Lodz noch immer an dem uralten Glauben an Monatsblutungen bei männlichen Juden festhielten. Immerhin war es eine tröstliche Erkenntnis, dass Jochebed, deren Regel nach ihrer Entführung ausgeblieben war, während ihres Martyriums nicht geschwängert worden war.
    Für den Rest seiner Reise war Max so damit beschäftigt, über die Schulter zu spähen, dass er gar nicht bemerkte, wie nah sie der Neuen Welt schon waren, bis das Schiff, von spritzenden Schleppern eskortiert, auf seinen flaggenstarrenden Ankerplatz in der Hamburg-Amerika-Werft glitt. Die Passagiere aus der ersten und zweiten Klasse strömten über die Landungsbrücken und wurden von einer freundlichen Menschenmenge verschluckt, während der Pöbel aus dem Zwischendeck, das Festland vor Augen, auf Barkassen verladen und nach Ellis Island gebracht wurde. Max hatte sich der Hoffnung hingegeben, dass ihm der Abstecher zur Insel der Tränen durch die besonderen Umstände seiner Bestattungsmission und der damit verbundenen Beschwernisse erspart bleiben würde. Doch der Sarg mit seiner genehmigten und verbotenen Fracht wurde genau wie das Gepäck der anderen Neuankömmlinge mithilfe eines Lastnetzes umgeladen, zur Insel transportiert und in einem abgesperrten Bereich abgesetzt, wo eine genauere Inspektion auf ihn wartete. Zudem konnte er erst abgeholt werden, nachdem sein Eigentümer den Zoll passiert hatte. Diese erzwungene Trennung von seinem Besitz versetzte Max in größte Sorge.
    Auf der Insel wurde die Schar durch Ziegeltore in einen kathedralengroßen, hallenden Empfangssaal gedrängt, durch dessen hohe Fenster das Sonnenlicht einfiel wie gekreuzte Schwerter. Mit Nummern und Buchstaben versehen, mussten die erschöpften Einwanderungskandidanten stundenlang auf harten Holzbänken ausharren, ehe sie, aus ihrer Benommenheit aufgescheucht, wie Schlachtvieh an rostigen Geländern vorbeigetrieben und nach Nationalitäten sortiert in Kabinen mit Uniformierten verfrachtet wurden. Verzweifelt durchwühlte Max seine leeren Taschen nach dem Bestechungsgeld, das nicht mehr da war. Innerlich wappnete er sich für die Begegnung mit dem ersten Untersuchungsbeamten, neben dem ein Herr mit spatenförmigem Bart stand, der offenbar als Dolmetscher fungierte und die Insignien der Hebrew Immigrant Aid Society am Band seiner Melone trug. Die folgende gnadenlose Fragenkanonade diente dazu festzustellen, ob Max ein Geisteskranker, ehemaliger Zuchthäusler, Anarchist, Polygamist oder sonstiger Schmarotzer und somit eine Bedrohung für den Staat war. Mit einem subtilen Kopfwackeln ermunterte ihn der Dolmetscher, alle Fragen mit Nein zu beantworten - wie auch sonst? Dann wurde er hinüber zu einem Arzt in schmutzigem Kittel geschoben, der ihm befahl, das Hemd so weit zu öffnen, dass die zarten Knospen von Jochebeds Brüsten gerade noch bedeckt blieben. Der gottlob unaufmerksame Doktor stellte fest, dass Max nicht an Lepra, Schwindsucht und auch sonst an keiner »abscheulichen und ansteckenden Krankheit« litt, und reichte ihn weiter an einen anderen Arzt, der, umgeben von einem kreisförmigen Paravent, auf einem Hocker saß.
    Eine Zigarette zwischen den fleischigen Lippen, stand dieser soeben im Begriff, mit einer Hand den herabhängenden Bauch eines stämmigen Bauern zu lüpfen, um mit der anderen seine äußeren Genitalien untersuchen zu können. Beim Anblick des grobschlächtigen Kerls mit der Hose um die baumstammdicken Fußgelenke erstarrte Max vor Panik. Plötzlich kehrte die ganze, während der Reise unterdrückte Spannung mit einer Kraft zurück, die ihn bis ins Innerste erschütterte, bis er nicht mehr beurteilen konnte, ob seine Furcht der Situation angemessen war. Er zermarterte sich das Gehirn, wie er der Untersuchung entrinnen könnte, und verfiel schließlich auf die Ausrede einer blutigen Verletzung, die ihm im Getto von tobenden Schlägern beigebracht worden war. Vielleicht konnte er mit dieser Geschichte das Mitgefühl des Arztes wecken und ihn davon abhalten, den auffallenden Mangel in Max’ Hose zu

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