Der Gegenschlag - Extreme Measures
hatte sie
an einem Sonntag Nachmittag, als sie mit dem schlafenden Thomas in der Babytrage den Rasen mähte, während der Professor weg war, um an seiner Dissertation zu arbeiten. Es dauerte fast zwei Jahre, bis es schließlich zur Scheidung kam, doch vorbei war es schon vorher, als ihr klarwurde, dass sie den Mann nicht mehr liebte.
Dennoch bereute sie die Ehe nicht, schon allein deshalb, weil daraus ihr Sohn hervorgegangen war, den sie über alles liebte. Kennedy hatte sich fest vorgenommen, alles zu tun, damit ihr Sohn nicht wie sein Vater wurde. Die einzige echte Herausforderung kam immer in den Sommerferien, wenn Thomas einen Monat im Sommerhaus der Familie seines Vaters auf Nantucket verbrachte. Eigentlich war es die einzige Zeit im Jahr, die er mit seinem Vater verbrachte, weil dieser nun in Frankreich unterrichtete. Sie verbrachten die Zeit mit Tennis, Golf und Segeln - doch Thomas veränderte sich nicht. Er war ein lieber Junge, brachte gute Noten nach Hause und machte keinen Unsinn. Ihre Mutter half ihr sehr, und natürlich auch Rapp.
Kennedy griff nach ihrem Weinglas und blickte durch die offene Glastür des halbprivaten Raumes. Der Mann, mit dem sie verabredet war, hatte sich verspätet. Während sie einen Schluck von ihrem Pinot Noir nahm, dachte sie an den Einfluss, den Mitch Rapp auf ihren Sohn ausübte. Er ist schon ein komplexer Mensch … nein, das stimmt nicht, dachte sie. Er ist wahrscheinlich der am wenigsten komplexe Mensch, den ich kenne. Rapps Job war kompliziert, ausgefallen und sehr gefährlich, aber für Kennedy war er vielleicht der Mensch, den sie von allen am leichtesten durchschauen konnte. Es gab viele Leute in Langley, die große Taktiker waren, die sich raffinierte Pläne ausdachten, wie man den Feind schwächen oder
vernichten konnte. Rapp zerpflückte all diese Pläne gnadenlos. Nachdem er sein ganzes berufliches Leben draußen im Einsatz verbracht hatte, wusste er aus schmerzlicher Erfahrung, dass ein Plan umso leichter scheitern konnte, je komplizierter er war.
Rapp war stets für eine möglichst einfache, direkte Vorgehensweise, zu der es in den meisten Fällen gehörte, jemandem eine Kugel in den Kopf zu jagen. Das war die ungeschminkte Wahrheit, über die Kennedy nicht gern nachdachte. Ihre Mutter hatte jedoch des Öfteren ihre Sorge zum Ausdruck gebracht. Als Rapps Frau vor einigen Jahren ermordet worden war, hatte ihre Mutter ihr unmissverständlich klargemacht, wie leichtsinnig sie es fand, dass ihre Tochter es ihrem Enkelsohn erlaubte, so viel Zeit mit einem CIA-Killer zu verbringen. Kennedy hasste dieses Wort. Sie hasste die Tatsache, dass jemand, der so viel geopfert hatte, mit einem solchen Etikett abgestempelt wurde. Hätte Rapp eine Uniform getragen und einen militärischen Rang gehabt, so wäre er als Held gefeiert worden. Sie würden ihm so viele Orden an die Brust heften, dass er sie kaum noch tragen konnte. Aber er gehörte nun einmal nicht zu den regulären Streitkräften, und deshalb blickten manche Leute auf ihn hinunter, sogar ihre eigene Mutter.
Kennedy wollte ihr jedoch keinen Vorwurf machen. Ihre Mutter konnte einfach nicht verstehen, wie jemand sich seinen Lebensunterhalt mit einer solchen Tätigkeit verdiente. Kennedy lächelte bei dem Gedanken, wie ihre Mutter erst reagieren würde, wenn sie die ganze Geschichte gekannt hätte - wenn sie Einblick in Rapps Akte bekommen hätte. Und was hätte sie erst gesagt, wenn sie die Akte ihrer eigenen Tochter hätte lesen können. Wenigstens wusste man bei Männern wie Rapp und Nash
sofort, womit man es zu tun hatte; ein Blick verriet einem, dass sie Jäger waren. Ihre eigene Tochter jedoch hatte nichts davon in ihrem Auftreten und ihrem Benehmen; sie war der Inbegriff von Stil und Klasse. Ihre Kleidung war immer modisch, aber nie übertrieben. Sie zeigte gerade genug Haut, um ihre Weiblichkeit zu unterstreichen, aber nie so viel, dass irgendjemand es unpassend hätte finden können. Ihr glattes schulterlanges Haar war die perfekte Ergänzung zu ihrem schmalen Gesicht und ihrer Stupsnase.
Ihr entwaffnendes, sympathisches Lächeln hätte nicht vermuten lassen, wie es ihr in Wahrheit ging. Tatsache war, dass sie ganz einfach ihre Geduld verloren hatte. Es kam in letzter Zeit immer öfter vor, dass sie Leuten wie Rapp und Nash grünes Licht gab, Gesetze zu brechen, Kongressabgeordnete und Senatoren zu belügen, Leute zu entführen und in seltenen Fällen auch zu foltern oder gar zu töten. Es geschah nie
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