Der Gegenschlag - Extreme Measures
hinter dem sich aber ein sehr ernsthafter Mensch verbarg, der, so vermutete sie, bei der Arbeit schon auch einmal die Geduld verlieren konnte. Sie arbeitete mit vielen Männern wie ihm zusammen, wenngleich deren Anzüge nicht so schick waren wie die seinen. Sein Drink kam wenig später, und er erhob das Glas, um mit ihr anzustoßen.
Als sie die Gläser klingen ließen, sagte Barstow: »Auf einen Abend ohne Störung.« Mit einem verschwörerischen Lächeln fügte er hinzu: »Ich habe mein Handy im Auto gelassen.«
Irene Kennedy machte ein schuldbewusstes Gesicht. Bei dem, was gerade in Afghanistan passierte, standen die Chancen nicht sehr gut, dass der Abend ohne Unterbrechung ablaufen würde.
Barstow bemerkte ihren Gesichtsausdruck. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein … es ist nur … es könnte durchaus sein, dass ich zumindest einmal angerufen werde und rangehen muss.«
»Das ist schon okay, dein Job ist nun mal ein bisschen wichtiger als meiner.«
Kennedy hörte kein bisschen Bosheit oder Eifersucht in seiner Stimme. Es war durchaus anerkennend gemeint. »Danke. Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.«
Barstow bestellte eine Flasche ausgezeichneten Bordeaux, und sie plauderten, während sie ihren Salat aßen. Sie fragte ihn gerne nach der Situation auf den Finanzmärkten. Er hatte an der University of Chicago Wirtschaftswissenschaften studiert und verfolgte mit wachem Blick, was auf der Welt passierte. Wie die meisten Ökonomen
stützte er seine Theorien auf harte Fakten. Er wäre auch in ihrer Branche ein guter Mann gewesen.
Drei Kellner kamen in den Raum und brachten das Hauptgericht und die Beilagen. Ein kleines Filetsteak mit Spargel und Pilzen wurde vor Kennedy hingestellt. Barstow bekam ein Stück Fleisch von der Größe eines großen Goldbarrens vorgesetzt. Kennedy wusste, dass es das Porterhouse-Steak war, und wenn er es so machte wie beim letzten Mal, würde er nur die Hälfte essen und sich den Rest einpacken lassen, um es seinem Hund mitzubringen. Das hatte er zumindest gesagt.
Kennedy genoss das Aroma ihres ersten Steaks seit vier Wochen. Mehr gestattete sie sich nicht. Die Weingläser wurden nachgefüllt, dann ließen die Kellner sie wieder allein. Kennedy und Barstow sahen einander erwartungsvoll an. Barstow schien unschlüssig zu sein, ob er noch einmal mit ihr anstoßen oder sich gleich über sein fast rohes Fleisch hermachen sollte, von dem eine kleine Familie eine Woche lang satt geworden wäre. Kennedy nahm ihr Steakmesser und die Gabel und wollte schon anfangen, als ihr auffiel, dass etwas nicht stimmte. Auf der anderen Seite der Glastür tauchten plötzlich Männer in schwarzen Anzügen auf, nicht die Kellner mit ihren weißen Jacken. Kennedy hätte sie zu gern ignoriert, doch sie wusste, dass das nicht infrage kam. Langsam drehte sie den Kopf und wusste augenblicklich, dass das Abendessen zu Ende war.
Es war Rob Ridley, der sie durch die Glasscheibe ansah. Der stellvertretende Leiter des Clandestine Service war ein notorischer Spaßvogel. Er machte mit allem und jedem seine Witze, doch heute Abend war sein Gesichtsausdruck ein ganz anderer. Er schaute so grimmig drein, wie Kennedy ihn noch nicht oft gesehen hatte.
Langsam legte sie Messer und Gabel nieder und tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab.
»Bill«, sagte sie schließlich und seufzte schwer, »du musst mich entschuldigen. Wie es aussieht, ist die Unterbrechung eingetreten, die ich befürchtet habe.«
Barstow versuchte verständnisvoll dreinzublicken, doch er war bereits so in seine Mahlzeit vertieft, dass er kaum noch etwas von dem mitzubekommen schien, was um ihn herum vorging. Kennedy ging zur Tür und zog sie auf. Ridley trat zu ihr, und er blickte so besorgt wie schon lange nicht mehr drein.
»Was ist passiert?«
»Wir haben große Probleme.«
»Wie groß?«, fragte sie.
»Wirklich groß.«
»Mitch?«
»Ja.«
Kennedy seufzte. Es klang so, als würde er jetzt die Konfrontation bekommen, auf die er es angelegt hatte. Sie hatte sich ohnehin schon damit abgefunden, dass es früher oder später passieren würde. Der Konflikt war unvermeidlich, und Rapps Absicht, ihn nicht zu scheuen, sondern offensiv vorzugehen, war vielleicht richtig - doch sie hatte kein gutes Gefühl dabei.
»Ich erzähle Ihnen den Rest im Auto«, fügte Ridley hinzu.
Kennedy drehte sich um, um sich von Barstow zu verabschieden, sah seinen verständnisvollen Gesichtsausdruck und hatte ein sehr schlechtes Gewissen, weil er
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