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Der Gegenschlag - Extreme Measures

Der Gegenschlag - Extreme Measures

Titel: Der Gegenschlag - Extreme Measures Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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Er fragte sich, wie es wäre, wenn er mit einem von ihnen tauschen könnte. Wenn er ein Leben führen könnte, ohne all die Dinge zu wissen, die er wusste. Wenn er sich am Morgen mit einem Kuss von seiner Frau und seinen Kindern verabschieden und einfach ins Büro gehen könnte, wie so viele seiner Freunde von früher. Dem Gedanken hing er jedoch nie länger als ein paar Sekunden nach, und er verspürte nie auch nur das geringste Selbstmitleid. In Wahrheit machte er seine Arbeit sehr gern - auch wenn es Jahre gedauert hatte, bis ihm das bewusst wurde.
    Seltsamerweise war es der Tod seiner Frau und seines ungeborenen Kindes, was ihn schließlich zu dieser Einsicht brachte. Natürlich nicht sofort. Sie hatten in seinem
Haus an der Chesapeake Bay eine Bombe gelegt, die eigentlich ihn treffen sollte. Wieder einmal war er dem Tod entwischt, doch diesmal bezahlte er dafür mit dem Verlust der Frau, die er liebte, und des Kindes, das er so gern aufwachsen gesehen hätte. Er dachte an jene wunderbare kurze Zeit, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass sie schwanger war. Es war nur eine Woche, aber die Gefühle waren immer noch so lebendig, als würde es in diesem Augenblick passieren.
    Die wunderbare Anna mit ihren smaragdgrünen Augen war von einem inneren Leuchten erfüllt, dass sie aussah wie aus einem Traum. Er hätte nie für möglich gehalten, dass sie noch schöner sein könnte, als sie es ohnehin schon war, aber die Schwangerschaft machte es möglich. Ihre makellose Haut strahlte förmlich, und ihre Augen sprühten vor Freude. Sie freute sich umso mehr, weil sie wusste, wie sehr ihr Mann, der in seinem Job so hart zu sich und anderen sein konnte, sich ein Kind wünschte. Sie wusste, wenn sie ihm ein Kind schenkte, würde ihn das dazu bewegen, seinen gefährlichen Beruf aufzugeben. Sie hatte ihm einmal, nachdem sie sich geliebt hatten, gesagt, dass er schon genug für dieses Land gegeben habe. Er war mehrfach von Pistolenkugeln und Messerstichen verletzt worden, er war gejagt und gefoltert worden, und jetzt war es Zeit, das endlich hinter sich zu lassen. Zeit, einen anderen in die Bresche springen und den Kampf weiterführen zu lassen.
    Bei all ihren liberalen Ansichten hatte Anna doch eine sehr realistische Sicht der Dinge. Sie hatte selbst erlebt, wie diese Fanatiker waren, und die Arbeit ihres Mannes bestand für sie im Wesentlichen darin, dass er diese Leute jagte und zur Strecke brachte, bevor sie noch mehr Hass säen und unschuldige Menschen töten konnten. Sie hatte
es ihm zwar nie gesagt, doch er wusste jetzt, dass sie insgeheim stolz auf das war, was er tat. Ihr Bruder hatte ihm nach ihrem Tod anvertraut, dass Anna ihn für den edelsten Menschen hielt, der ihr je begegnet war.
    Nachdem er sie so unerwartet verloren hatte, war seine unmittelbare Reaktion vorhersehbar. Er vergrub seinen ganzen Schmerz, seine Wut und seine Verzweiflung tief in seinem Inneren und machte sich auf die Jagd nach den Schuldigen. Systematisch spürte er einen nach dem anderen auf und nahm Rache an ihnen. Zwei von ihnen ließ er am Leben. Die Gründe dafür waren etwas kompliziert, aber er wusste, dass es auch Anna so gewollt hätte. Nachdem er seine Vergeltung bekommen hatte und er der grausamen Wirklichkeit ins Gesicht sehen musste, brach die Welt für ihn erst so richtig zusammen. Sein moralischer Kompass funktionierte nicht mehr, das Gefühl für Richtig und Falsch kam ihm abhanden, und er drohte in einem Meer von Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen zu versinken.
    Er hatte immer genau gewusst, was er zu tun hatte, und nachdem er dieses Gefühl verloren hatte, nahm er den einzigen Weg, der für ihn noch Sinn machte. Er ließ alles hinter sich. In den nächsten sechs Monaten wusste keiner, wo er war - nicht einmal sein Bruder und seine Vorgesetzten in Langley. Als er wieder zurückkam, war er ein anderer geworden. Zutiefst erschüttert, aber nicht zerbrochen, und mit einem gesteigerten Bewusstsein für die eigenen Unzulänglichkeiten und dafür, wie seine Mängel seine Arbeit beeinflussten. Er wusste, dass er sich immer schuldig fühlen würde, weil er geglaubt hatte, ein normales Leben führen zu können. Jeden Morgen und jeden Abend schickte er ein kurzes Gebet zu ihr, um sie um Verzeihung zu bitten, dass er sie in seine hässliche
Welt hineingezogen hatte. Manchmal sagte er sich, dass sie diesen Weg ganz bewusst gewählt hatte. Sie war einer der eigenwilligsten Menschen, die ihm je begegnet waren, und hätte sich nie zu irgendetwas

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