Der geheime Basar
eine kubanische Band. Wir waren zwischen den Wänden einer grünen Felsenschlucht gefangen und in einer endlosen, dicken Wolke, die die Kurven in der Tiefe des Waldes verschwimmen ließ. Danach folgten trockenes Ödland, reglose gelbe Felsen, blankgemeißelte Klippen und eine Serpentinenstraße, die uns an die Bergwände drängte. Und nur ab und zu, wenn uns die Tunnel verschluckten, die in den Berg gegraben waren, legte ich eine Hand auf ihren Handrücken, strich über ihre Finger, die auf dem Schalthebel lagen. Bei jedem Aussichtspunkt hielten wir an, unsere Füße frästen durch Sand und Staub, klangen wie Trommeln eines Wüstenmarsches, außer denen nur geisterhafte Windböen rauschten. Keine Vögel, nur Stille. Und ein blauer See am Horizont.
Nilu fuhr mit offenem, wild flatterndem Haar, und sie überholte wild, wie eine Wahnsinnige. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob das ihr Selbstzerstörungstrieb war oder ob sich so das Leben anfühlen sollte. Sie ließ mich auch hungern, bis wir drei Meter vor dem Ufer angelangt waren, beim besten Schischlikstand auf dem Kontinent. Wir saßen mit Pommes und Limo auf blauen Plastikstühlen, ein Akkordeon und eine Trommel spielten nur für uns zwei. Wie Kinder im Kindergarten aßen wir vorsichtig, um uns Lippen und Kinn nicht zu verschmieren. An einem verlassenen Strand abseits der Straße streifte Nilu ihr Rupusch – das Mantelkleid – und ihr Tuch ab und rannte in einem braunen Bikini mit zarten schmalen Trägern zum Wasser, zerrte mich mit, lachend: «Jetzt zieh dich schon aus.» Ich dachte, was für ein Glück, dass ich mir heute Morgen Gedanken über meine Unterhosen gemacht hatte. Doch dann ertappte ich mich, wie ich zum Kofferraum zurückging, meine Tasche öffnete und eine Badehose herausholte, schnell die Jeans hinter der Wagentür abstreifte und die Badehose anzog, ohne dass Nilu etwas zu sehen bekam. Ich war ein bisschen traurig. Aber dann standen wir auch schon zusammen in dem flachen, schäumenden Wasser, und es war eiskalt. Sie hüpfte wie eine Fee, wie eine kleine Meerjungfrau, fotografierte mich – nur ich bin auf dem Bild, vor einem Fächer aus Federwolken –, und sie sagte, dass sie meinen Bauch zu hübsch finde und die Berge zu groß, wir seien so winzig.
Wenn ich ein hübsches Mädchen sehe, bin ich traurig. So bin ich nun mal. Immer wenn etwas gut ist, habe ich wehmütige Gedanken. Und als Nilu sagte: «Erzähl mir was Interessantes, Kami», waren die einzigen Geschichten, die mir einfallen wollten, traurige. Geschichten, die überhaupt nichts mit mir zu tun hatten, die aber zum Beispiel in der Zeitung gestanden hatten. «Gestern», erzählte ich ihr also, «hatte ein kleiner Junge einen schweren Asthmaanfall. Seine Mutter rannte los, um das letzte Spray aus der Schublade zu holen, doch vor lauter Aufregung fiel es ihr aus der Hand und zersplitterte. Der kleine Junge starb.» Nichts zu machen, so war ich eben. Erzählte ihr schlimme Dinge, als würde das veranschaulichen, wie gut es uns dagegen ging.
«Was ist das mit diesen ganzen negativen Energien bei dir?» Sie lachte. «Ein Glück, dass du mich damit nicht schreckst.»
«Ich liebe die Verbindung zwischen fröhlich und traurig, denn die fröhlichen Dinge werden durch die traurigen nur verstärkt, erhalten Tiefe, oder nicht?»
«Du bist wirklich seltsam. Dein Sinn für Humor kommt bloß bei deprimierenden Geschichten zum Vorschein, und nur die Legenden über deine Tante stimmen dich romantisch.» So sagte sie es, worauf ich erschrak und dachte, vielleicht ist es besser, gar nichts zu erzählen, doch ich hatte Angst, sie zu langweilen. Aber dann sagte sie noch: «Das ist in Ordnung, ich liebe dich, so wie du bist.»
«Es ist nicht billig, ein Importauto mit 1300 Kubik zu unterhalten», beklagte sich Nilu später, «und wir kriegen nicht einmal das subventionierte Benzin vom Staat.» Doch die Küstenstraße war gerammelt voll mit einer Ausstellung von Statussymbolen, die reichen Städter fuhren in Mercedes- und BMW -Karawanen hinaus, um Zuflucht vor der verschmutzten Luft zu suchen. So wie wir. Die Zufahrten der wohlhabenden Siedlungen waren mit Kontrollschranken abgeriegelt, Tore und Zäune trennten die Blechbaracken der Bauern und Fischer und der einfachen Mazanderaner von den luxuriösen Ferienvillen, die reihenweise an den Ufern des Salzsees standen. Ich kämpfte mit mir, ob es unverschämt war zu sagen, dass das nicht gut sei, der Abgrund zu extrem, doch ich war schließlich zu
Weitere Kostenlose Bücher