Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
Vom Netzwerk:
Gast in ihrer Welt, welches Recht hatte ich also, beleidigend zu sein?
    Nilu las in meinem Gesicht, und vielleicht war es ihr selbst peinlich, denn sie sagte: «Du musst verstehen, die Dorfleute hier sind sehr religiös, sie wollen keine Feriengäste oder Mädchen auf Tretrollern und Fahrrädern sehen, sie ziehen lieber Mauern hoch.»
    Wir hielten bei einem kleinen Fischteich am Straßenrand und suchten uns Lebendware zum Abendessen aus. Dann fuhren wir in das Feriendorf Chaneh Daria, und dort, ganz am Ende der Anlage, wartete Nilus Traumschloss mit einem gelben Dach, weinroten Fensterläden und einer Holztür, wie ein Zuckerhäuschen aus dem Märchen, aber mit Palmen im Hof. Die große Veranda überblickte den Horizont – Russland, Aserbeidschan, Kasachstan, Turkmenistan, alle waren sie dort, irgendwo, und so verschieden. Auch das Schwarze Meer. «Ich hab den Eindruck, du würdest jahrelang schweigen», neckte sie mich, «wenn ich dich nicht dazu zwingen würde, manchmal zu reden.» Daraufhin sprachen wir über die Liebe, über ihre drei Schwestern, die alle traditionell – ohne Liebe – verheiratet worden waren. Es war zu bezweifeln, dass sie jetzt liebten. Und schon seit Jahren hatte sie keine von ihnen ohne ein Tuch auf dem Kopf gesehen, sie klammerten sich mit besessener Furcht daran, als könnten sie sich sonst selbst nicht erkennen. Ich war erstaunt. «Nach dem, was du mir erzählt hast, hat dein Vater auf mich den Eindruck eines gemäßigten Menschen gemacht», sagte ich. «Es ist nicht wegen ihm», korrigierte sie, «es war ihre Wahl, ihre eigene.» Sie taten mir leid.
    Es gab getrennte Badestrände für Männer und Frauen und ein gemeinsames Schwimmbecken – Jungen in der Früh, Mädchen am Nachmittag –, doch Nachbarn, die sie nicht einmal kannte, luden uns ein, in ihrem Pool bei ihnen im Hof zu baden, gemischt. Es waren Paare in unserem Alter dort. Die Luft war klar und warm. Als die Sonne verlosch, wurden bunte Cocktails an die Liegen gebracht, und wir schliefen beinahe zusammen ein, versucht, die Welt draußen zu vergessen. Für die Party am Abend kleideten wir uns gemeinsam an, das heißt, zuerst duschten wir getrennt bei halboffener Badezimmertür, und ich kam in meinen Boxershorts heraus und sie mit BH und Unterhose. Wir bedeckten uns zwar schnell, doch etwas ganz Besonderes geschah dabei – wir wurden ein Paar. Nilu hüllte sich in einen dünnen, schwarz-rosa Kimono, wobei sie darauf achtete, den Ausschnitt sehen zu lassen. Um die Taille band sie sich einen Gürtel, der den Stoff an ihren Körper presste. Auch das war bei uns verboten, enganliegenden Stoff zu tragen, doch das kümmerte sie natürlich nicht. Sie stach Stäbchen durch ihr Haar und steckte es hoch, wobei sich ein paar verführerische Locken an der Seite wie unabsichtlich lösten. Meine Hand war magisch davon angezogen. Und von ihrem Hals. Sie blieb lange auf dem Samtstuhl vor dem Toilettentisch sitzen, ließ mich sie mit dahinschmelzendem Blick anstarren. War sie weich mit harten Kanten? Oder umgekehrt? Ich war mir nicht schlüssig. Ich wäre gerne ihr Plüschtier gewesen, mit dem sie sich auf dem Teppich rollte. Ich wünschte, sie wäre ein Katzenjunges, hungrig nach Wärme, das sich allein fühlte mit all den Freunden, arrogant und berühmt, von denen sie umgeben war – und dass sie sich zu mir flüchten wollte. Ich dachte, dass Sex offenbar das zwanghafte Bedürfnis war, zu graben und freizulegen, mehr als die anderen zu sehen, zu wissen, dass man den geheimsten Kern von jemandem erreicht hat, von dem es schien, dass er nie herauszuschälen sei. Es war ein seelisches Bedürfnis, kein körperliches, ich wollte nicht glauben, dass wir einfach nur vom Körper diktierte Tiere seien.
    Wir gingen zu einer lauten, überfüllten Strandparty. Geschminkte Mädchen, Jungen in Designer-Kleidung, Blicke wurden ausgetauscht, man aß und rauchte, ein Vulkan der Triebe, und Nilu begann sofort zu tanzen. Dutzende tanzten, aneinandergepresst, und ich drückte mich an Nilu, aber sie kam mir immer wieder abhanden, in den dunklen Winkeln zwischen den improvisierten Lampen, die den Sand erhellten. Doch sie warf mir Blicke zu und zwinkerte, vergaß mich keinen Moment. Ab und zu kehrte sie zu mir zurück und versuchte, mich mit Gewalt mit sich zu zerren, doch ich wollte nicht. Ich saß auf einem Stuhl im Abseits, beobachtete alles gespannt, sprach mit niemandem, und niemand sprach mich an. Ich redete mir ein, dass ich gute Gründe hatte, ein

Weitere Kostenlose Bücher