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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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Bedürfnis zu wissen, dass die Welt von ihr träumte, war ein bodenloser Sog, und als ihr Erfolg plötzlich gekappt wurde, gab es keinen Grund mehr zu leben. Warum also hält Zahra trotzdem weiter an ihrer erloschenen Welt fest, wenn alles, was ihr wichtig ist, bereits tot ist? Und Frau Safureh, warum hat sie keine Kinder, wenn wir uns ihrer Ansicht nach alle unbedingt vermehren wollen?
    Die alte Dame, als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagte: «Ich, Kami, ich überlebe, weil ich jeden Morgen als blanke Seite aufwache. Ich bin allein, ich lebe, bald werde ich sterben, ich habe genug von der ganzen Heulerei.»

6
    Auf dem Weg zum Sommerhaus ihrer Familie am Kaspischen Meer brachte mich Nilu zu der Garage in Darakeh. Uralte Lehmmauern zogen sich das ganze Dorf entlang, verstreute Taubenschläge in den Höfen und dahinter verborgen Veranden zwischen hinfälligen Strommasten im Dickicht der Baumkronen. Der Wagen zwängte sich mit Mühe in eine enge, schattige Sandgasse, zu einem kaum befahrenen Radweg. Kleine Krämerläden überall, in Stein gesenkte Nischen, Händler, die geschwärzte Bodenplatten kehrten, zwischen rostigen Eisenregalen, überladen mit Snacktüten und Konserven, die danach schrien, durch die schmale, dunkle Öffnung auszubrechen. Gelbe Wasserkästen türmten sich an jeder Ecke, Öl wurde auf Teppichen angeboten, auch Gewürze. Wasserpfützen liefen in Rinnen ab, die sich auf natürliche Weise in die Krümmungen des Berges eingefräst hatten. Vor einem Eisenrollladen am Hang parkten wir. Es war der ebenerdige Eingang zu einem roten Ziegelhaus mit abgeschrägtem Holzbalkendach, einem orangefarbenen Briefkasten und einem kleinen Fenster, das auf das dunkle Wolkengebilde der Stadt hinausblickte. Eine alte, kupferne Industrielampe baumelte von der Decke, erfüllte die Werkstatt mit fahlem Schein. Werkzeug lag auf dem Boden verstreut, hydraulische Hebevorrichtungen, ein Wagenheber, eine Luftpumpe sowie Messer und Farbbüchsen. Sogar ein Generator und ein Feuerlöscher waren vorhanden. In einem Kessel auf dem Campinggaskocher, der auf einem Holzschemel stand, kochten wir Tee. «Das ist es, Junge, hier werden wir ein Auto bauen», verkündete sie stolz und legte einen Schlüssel in meine Hand.
    «Aber wo fängt man überhaupt an?», schreckte ich zurück. «Wer weiß, wie man ein Auto baut?»
    «Man fängt von unten an», gab sie zur Antwort und warf sich auf ein blaues Stoffsofa an der Wand. «Die Räder sind immer das Erste, wir wählen Reifen und Felgen. Du entwirfst mit dem Computer die Aufhängungen, danach die Lenksäule und die Bremsen. Ich werde ein Lenkgestänge und ein Getriebe kaufen. Dann entscheiden wir zusammen über die Montagepunkte des Rahmens, und bevor du es merkst, arbeiten wir schon am Fahrer-Cockpit.»
    «Du bist so praktisch, ich glaube, ich werde dich nur stören.»
    Sie lachte. «Es gibt sogar Platz für den roten Peykan, bring ihn her, dann arbeiten wir an beiden Prinzessinnen, der greisen Dame und der neuen, was hältst du davon?»
    Ich holte ein Geschenk aus meinem Rucksack. «Das ist mein Lieblingsbuch», erklärte ich, «‹Zendegi dar pisch ru›, ‹Das ganze Leben vor sich›.»
    «Du bist ein Engel», sagte sie mit einem strahlenden Lächeln und küsste mich auf die Wange.
    «Es tut mir leid, wenn du keine Zeit hast zu lesen», entschuldigte ich mich, hoffend, dass sie nicht enttäuscht war.
    «Wenn du es mir vorliest, verspreche ich, bis zum Schluss zuzuhören.» Sie nahm das Kopftuch ab und sah mir in die Augen wie ein trauriger weißer Schwan. Ich griff ihr mit beiden Händen ins Haar, befühlte es hingerissen. Sie lächelte, ich spürte, dass es ihr angenehm war, und wir küssten uns. Langsam und sanft, nur mit den Lippen, dann mit der Zunge, und die ganze Zeit über lagen ihre Finger auf meinem Bauch, zogen Linien, erkundeten die Falten, keine elektrisierende Berührung, sondern eine beruhigende. Und ich hielt ihr Haar, ihre Schultern und Arme, wollte sie umarmen und fragte mich, ob es mir wohl gelingen würde, diesen Augenblick gut genug in meinem Gedächtnis zu bewahren.
    Dann fuhren wir nach Norden, drei Stunden auf der Tschalus-Gebirgsstraße und vorbei an Kenare tschadeh, bergauf und bergab zwischen den stillen Kleinstädten entlang der Windungen des Küstenstreifens. Teheran liegt eintausendzweihundert Meter über dem Meer – das Kaspische Meer ließ uns auf achtundzwanzig Meter unter dem Meeresspiegel abstürzen. Wir hörten «Knocking on Heaven’s Door» und

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