Der geheime Basar
x-beliebige alte Nachbarin in Anzali. Also halt mir keine Predigt. Ich bin weder auf Opium noch auf Hasch noch auf Zigaretten.»
«Und sie?»
«Sie ist Sportlerin!» Ich kochte vor Wut. «Sie ist eine Sportlerin, die diesem Land in der ganzen Welt Ehre macht!»
«Das ist ein Sport, der die Risikosucht sanktioniert und der eine Menge Geld erfordert. Sie ist mit viel Geld aufgewachsen, Kami, und Geld korrumpiert alles im Leben. Das ist ein ausschließlich individueller Sport, der nichts mit Moral zu tun hat.»
«Stell dich nicht unschuldig», sagte ich mit leiser Stimme. Ich verschluckte die Worte fast, nicht weniger verletzt als er. Wieder schwiegen wir. Je länger ich darauf wartete, dass er seine Beleidigungen zurücknahm, desto verzweifelter wünschte ich mir zu hören, dass er mir verzieh und sich damit abfand. Was sagte das über uns aus, wenn wir jetzt scheiterten, bei der ersten Prüfung, vor der diese Freundschaft stand? Ich hatte keinen anderen Freund wie ihn.
Rote Polizeisirenen flackerten, nackte weiße Wände schlossen sich um uns, lange Beleuchtungsmasten schütteten ihr Licht wie eine Fontäne über grüne Straßenbänke, die dürren Rasenflächen dunkelten.
«Komm», unternahm ich einen Versuch, «es gibt hier eine Ausstellung von Straßengemälden, sie wird dir gefallen.»
Doch Amir war von Enttäuschung gepackt. «Ich fühle mich nicht wohl in dieser Stadt, alles hier ist Verstellung, alle sehen für mich angeschlagen und schmutzig aus und nur mit sich selbst beschäftigt. Die Menschlichkeit erstickt hier, es war ein Fehler zu kommen.»
«Das ist die Verwirrung der ersten vierundzwanzig Stunden», versicherte ich, «beim nächsten Besuch wird es dir besser gehen.»
«Schau dir das doch an.» In seiner Not suchte er nach jedem Unsinn, um sich daran aufzuhängen, Hauptsache, es war nicht von Nilu, mir und ihm die Rede. «Es gibt hier keine Achtung vor der Sprache, so viele englische Plakate überall, die Namen der Geschäfte, die Schilder. Die Kinder schicken Textnachrichten in lateinischen Buchstaben, unsere ganze Identität wird ausradiert. Es ist niemandem mehr wichtig, ein Patriot zu sein.»
Ich war beunruhigt, denn nun redete er schon dummes Zeug. Sanft sagte ich: «Amir Teimuri, wach auf, wir beide sind doch auch keine so großen Patrioten, sei mal ehrlich, wir hatten es ziemlich eilig, die Aufnahmeprüfungen für die Universität zu absolvieren und uns einzuschreiben, um dem Militärdienst zu entkommen, und wir beide werden uns, wie es aussieht, wohl ewig davor drücken, ist das was anderes? Aber das ist in Ordnung.»
«Jeder trägt auf die Weise bei, die für ihn passend ist», antwortete er mit Entschlossenheit, «aber du, Kami, warum lebst du weiter hier? Was bindet dich überhaupt an diesen Ort? Wenn du ohnehin nicht glaubst, wenn du so sehr unter der Religion leidest und um jeden Preis das willst, was du Freiheit nennst, warum bleibst du im Iran?»
«Die Religion ist kein Problem für mich, ich habe ein Problem mit Fanatismus und religiöser Politik.»
«Nun, warum bleibst du dann hier? Weich nicht aus.»
«Ich weiß nicht. Vielleicht bleibe ich einfach, weil es hier spannend ist», erwiderte ich leicht provozierend, «vielleicht finde ich es spannend, in einem Staat mit Menschen zu leben, die den ganzen Tag zu kämpfen haben, und nicht in dem satten, langweiligen Europa.»
«Du bist hier, weil du dich anderswo minderwertig fühlen würdest. Niemand würde dich wirklich akzeptieren.»
Aber ich hoffte doch nur, Amir würde mich akzeptieren. Ich hatte Angst, dass es traurig für ihn enden würde. Ich wollte seine Anerkennung, doch Nilu zog weiter ihre heimlichen Kreise um uns. Ich ging immer schneller, als würden alle Komplikationen verschwinden, wenn der Fußmarsch zu Ende wäre. Und schon erreichten wir das Grandhotel, die Berge des Elburs blickten von oben auf uns herab, zart und schön umzingelten sie die Stadt. Dichtgedrängte Reihen verflochtener Baumkronen auf beiden Seiten schlossen allmählich den Himmel aus. Die jungen Palmen von Abbas Abad zitterten im Abendwind, und Dunkelheit senkte sich herab.
Doch in der Nacht rollte sich Amir neben mir mit Kafkas unvollendetem «Schloss» ins Bett. «Du überraschst mich», sagte ich, «sollten wir dir nicht lieber einen druckfrischen Band ‹Ahmadinedschad. Das Wunder des dritten Millenniums› kaufen?»
«Warten wir auf den Film», lachte Amir und löschte das Licht.
Wir versuchten, unseren Herzschlag zur Ruhe zu
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