Der geheime Basar
bringen, doch die Straße hallte in uns nach. Ich legte mich neben ihm auf den Rücken, verschränkte die Arme über der Brust und sagte: «Manchmal blicke ich zwei Generationen zurück, und da waren Leute in unserem Alter bereits damit fertig, die Welt zu verändern. Wie konnten sie nur so jung schon so gefestigt sein? Denn wenn wir so reden, hören sich unsere Gedanken für mich irgendwie selbstgerecht, dumm an, wie von zwei Kindern, die nicht gelernt haben, dass es keinen Sinn hat zu kämpfen, wenn man nicht gewinnen kann. Ich will das nicht glauben, aber ich weiß nicht, woran ich glauben soll.»
Amir war zufrieden. «Ah, so liebe ich dich, wenn du dich quälst», flüsterte er.
«Erzähl mir einen Traum von dir, Amir Teimuri. Überrasch mich, keinen harmlosen Traum, einen mit Feuer, der mir beweist, dass du ein Mensch bist.»
«Ich habe manchmal ungesetzliche Träume, klar, aber sie bleiben Träume. Sie sind unter Kontrolle.»
«Wie können Träume ungesetzlich sein? So was gibt es nicht», lachte ich im Dunkeln.
«So ist mein Glaube, versuche zu verstehen.»
«Das ist ein Glaube für Schwache», flüsterte ich. «Auch ich glaube an etwas, nämlich an die Menschen, dass sie gut sind und allein entscheiden können. Das ist der Glaube, der es ermöglicht zu lieben. Ich glaube daran, dass es immer möglich ist, etwas Besseres zu erreichen, das ist der Glaube, der den Menschen anspornt, mehr als nur irgendein Mensch zu sein, sondern sich wirklich anzustrengen. Wie kann man all das aufgeben für einen schwachen Glauben? Gib mir eine Chance, wir werden das Leben besser machen, wir werden das Gleichgewicht finden, du und ich.» Ich schloss die Augen, zwang mich zu lächeln im Versuch, eine künstliche Aura von Frieden im Raum zu verbreiten, während ich mich fragte, wie stark ich ihn festhalten müsste, damit wir einander nicht verloren. Bis zu welchem Punkt lohnte es sich überhaupt festzuhalten und zu welchem Preis?
Ich sehe sie zwischen Himmel und Erde hängen, Amir Teimuri und Nilufar Chalidian, beide halten sich mit zunehmend ermattenden Händen an einer aufklaffenden Felskante fest. Bröckelnde Erde. Unten ein gähnender Abgrund. Der sichere Tod. Mit geschlossenen Augen sehe ich sie vor mir, fühlbar und echt, verzweifelt um ihr Leben flehend, denn ich stehe über ihnen, stabil und sicher, in der Lage, die Hand auszustrecken, um einen von beiden zu retten. Wen soll ich retten? Da ist Amir, die Augen tränenüberschwemmt, die Finger lassen nach, mit letzter Kraft erinnert er an alles, was er für mich geopfert hat, er fleht, die Gerechtigkeit sei auf seiner Seite. Und neben ihm seine Feindin. Schweigend. Verzeih mir, Amir, mein lieber Freund, sage ich zu ihm, die Natur will, dass ich anders wähle, du müsstest mich am besten verstehen. Er schreit mich an, die Natur weiß nicht, was sie tut! Was hat sie dir gegeben, dass sie dir innerhalb von Stunden oder Tagen wertvoller geworden ist als ich? Sie hat sich ausgezogen! Nur weil sie sich ausgezogen hat! Das denkt er also. Ich liebe dich, mein Freund, sage ich zu ihm, ich habe alles gegeben, was ich konnte, doch unsere Zeit ist vorbei, wir werden nicht mehr nach der Schule auf dem Teppich in meinem Zimmer einschlafen, im Kinderzimmer eines Sechzehnjährigen, wir werden nicht mehr jeden Abend zur körperlichen Ertüchtigung zum polnischen Friedhof aufbrechen. Das Leben ist eine Rangliste. Wer hatte bei mir die höhere Priorität? Für einen einsamen Jungen wie Amir war das grausam, wie ein solches Mädchen einfach daherkam und ihn innerhalb einer Sekunde überrundete. Ich hätte mich vor Wut am liebsten selbst geohrfeigt, schließlich sollte ich nicht um mich selbst trauern. Ich atmete schwer, doch auch tiefe Atemzüge lösten das Gefühl des Erstickens nicht.
Herr Ali Samimi sagte immer mit einem tiefen Seufzer: «Wenn du versuchst, alle glücklich zu machen, wirst du mit niemandem zurechtkommen.» Was hätte er jetzt wohl zu mir gesagt? Gab es irgendeinen Grund auf der Welt, dass ich für Amir auf die Liebe verzichten sollte? Nein, es ist nicht ein Mädchen, das zwischen uns steht, hätte ich dem Alten erklärt, es ist so ein Moment, der eine Antwort verlangt, welche Sorte von Mensch ich sein möchte. Er hätte mir sicher geantwortet: «Ein Herz muss manchmal brechen, das ist gesund.»
«Bereust du es?», fragte Amir.
«Was?», schrak ich hoch.
«Dass du weggegangen bist.»
Ich wollte wirklich gerne ja sagen, stellte mir vor, wie ich es bereute. Ein
Weitere Kostenlose Bücher