Der Geheime Orden
habe. Nachdem sie aufgelegt hatte, wandte sie sich uns zu und sagte: »Mr. Dunhill wird Sie im Säulengang hinter dem Haus empfangen. Ich zeige Ihnen den Weg.«
Sie führte uns durch ein Labyrinth aus offenen Fluren und gemütlichen, sonnenlichtdurchfluteten Räumen. Eine Armee junger südamerikanischer und kubanischer Frauen kümmerte sich schweigend um ihre Arbeit, stellte Vasen auf und staubte Simse ab. Wir gingen noch um ein paar weitere Ecken, bevor wir durch hohe, verglaste Türen hinausgingen und vor einer Rasenfläche stehen blieben, die hinunter zum Wasser führte. Ein leicht erhöhter, weißer Säulengang befand sich am Ende des kurzen Rasenstreifens. Die Frau deutete auf einen Tisch und sagte, dass Dunhill uns in Kürze Gesellschaft leisten würde.
»Ziemlich schicker Ort zum Sterben«, sagte Dalton, als wir auf den Rasen traten. »Schöner Blick aufs Meer, und jede Menge hübsche junge Mädels in knappen Uniformen. Ich bin jetzt schon ganz begeistert von unserem alten Dunhill.«
»Ich finde es deprimierend«, sagte ich. »Den ganzen Tag mit einem Haufen anderer alter Leute herumzusitzen und abzuwarten, wen es als Nächsten erwischt. Nicht der Abschied, den ich mir vorstelle.«
»Aber deswegen rennen doch die ganzen Señoritas hier herum«, sagte Dalton. »Sie sorgen dafür, dass das Blut kräftiger durch die Venen der alten Herren rauscht.«
Kaum hatten wir es uns auf den Korbstühlen an einem kleinen Tisch bequem gemacht, auf dem zum Lunch gedeckt war, als ein Mann in limonengrünem Anzug und einem Tuch über dem Arm erschien und ein Silbertablett mit Gläsern und einem Krug Eistee brachte. Er schenkte von dem gekühlten Tee ein und ließ den Krug und das verbleibende Glas auf dem Tisch zurück. Wir hatten unsere Gläser halb ausgetrunken, als ein kleiner, kräftiger Kerl aus der Hintertür und auf den Pfad trat. Er hatte dichtes, silbernes Haar, kräftige Augenbrauen und tiefe Furchen in der ledernen Haut. Er trug eine Khakihose und ein kurzärmeliges weißes Hemd, das weit genug offen stand, um die Überreste dessen zu zeigen, was einst eine muskulöse Brust gewesen sein musste. Er humpelte leicht, war aber ganz und gar nicht der alte Tattergreis, den wir erwartet hatten. Er gab uns einen kraftvollen Händedruck und setzte sich uns gegenüber an den Tisch. Seine stoische Miene fand ihre Entsprechung in seiner schroffen Ausdrucksweise.
»Was zum Teufel treibt euch Jungs in diese abgelegene Ecke?«, fragte Dunhill, trank einen Schluck von seinem Eistee und streckte sich in seinem Stuhl. »Solltet ihr um diese Jahreszeit nicht für die nächsten Prüfungen lernen?«
»Die sind erst in ein paar Wochen«, sagte Dalton. »Deshalb wollten wir jetzt gleich kommen, bevor wir zu viele andere Dinge um die Ohren haben.«
»Was interessiert euch an der Abbott-Sache?«
»Wir schreiben eine Seminararbeit über die Geschichte von Harvard und sind im Crimson auf die Artikel über Abbotts Verschwinden gestoßen. Es erschien uns interessant, also haben wir beschlossen, uns die Sache mal näher anzuschauen.«
Dunhill sah zu mir herüber. »Stimmt das?«
Ich nickte.
Ein anderer Mann als derjenige, der uns den Eistee gebracht hatte, näherte sich uns. Er öffnete eine Kiste mit Davidoff-Zigarren und hielt sie erst Dunhill hin, der sich bediente, und dann uns. Nachdem wir beide abgelehnt hatten, winkte Dunhill den Mann fort, bevor er seinen Blick auf Dalton richtete.
»Sie wollen mich verarschen, Winthrop«, sagte er. »Und das gefällt mir nicht. Dass ihr beiden den ganzen Weg hierher geflogen seid, um wegen einer verdammten Seminararbeit einen alten Kauz wie mich zu interviewen, glaubt euch nicht mal meine Großmutter. Harvard ist über dreihundert Jahre alt, da gibt es genug Geschichte, auf die ihr euch stürzen könnt. Der Abbott-Fall ist dabei nicht mehr als eine Fußnote. Entweder ihr legt eure Karten auf den Tisch, oder das Mittagessen ist vorbei, bevor es angefangen hat.«
Dalton sah mich an, und ich sah Dunhill an. Sein Charme und sein Lächeln waren verschwunden. Seine dichten Augenbrauen trafen sich in der Mitte der Stirn.
»Okay, es ist keine Seminararbeit«, sagte Dalton. »Wir sind auf einen alten Artikel über Abbotts Verschwinden gestoßen und haben Nachforschungen aufgenommen, was damals passiert ist. Ihr Name wurde in dem Artikel erwähnt, und wir haben uns Ihre Daten im Alumniverzeichnis angesehen. Dann haben wir uns überlegt, dass Sie uns vielleicht in Ihren eigenen Worten schildern
Weitere Kostenlose Bücher