Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
Verband in Händen sause ich zu Miss McChen n mine zurück. Die hat inzwischen ihre Hand gewaschen und benützt ein Geschirrtuch , um das Bluten zu stoppen.
»Ich habe das Verbandzeug gebracht« , sage ich und zeige es ihr. Ich weiß nicht , was ich tun soll.
Miss McChennmine schaut mich an wie einen Dor f trottel. »Nun verbinden Sie bitte die Wunde , Miss Do y le.«
»Ja , natürlich« , sage ich. »Es tut mir leid. Ich muss gest e hen , ich hab noch nie …«
Miss McChennmine unterbricht mich. »Legen Sie den Ve r bandmull auf die Wunde und wickeln Sie die Binde einmal ganz um meine Hand , ja , so. Jetzt über Kreuz um den Da u men , und das Ganze noch mal. Au!«
Ich habe zu fest auf die Wunde gedrückt. »Oh , tut mir leid. Bitte um Entschuldigung« , sage ich und befestige die Binde , indem ich das Ende einstecke.
»Jetzt , Miss Doyle , seien Sie bitte so freundlich und bri n gen Sie mir einen neuen Handschuh. Die Handsch u he sind in meinem Kleiderschrank in der rechten oberen Schublade« , ordnet sie an. »Bitte trödeln Sie nicht , Miss Doyle. Wir mü s sen mit dem Unterricht fortfahren.«
* **
Miss McChennmines Zimmer ist bescheiden und sauber. Trotzdem überfällt mich eine merkwürdige Befange n heit , als ich den Privatbereich der Lehrerin betrete. Es kommt mir vor , als würde ich in einen geheiligten Bezirk eindringen. Ich öf f ne die Mahagonitüren des großen Kleiderschranks und finde die rechte obere Schublade. Die Handschuhe sind da , wie sie gesagt hat , schön o r dentlich in einer Reihe ausgerichtet wie Soldaten. Ich suche einen aus und werfe noch einen Blick in den Raum , um irgendeinen Hinweis auf das Geheimnis dieser Frau zu entdecken. Das ganze Zimmer ist auffallend karg. Keine persönliche Note. Nichts , was irgendetwas über sie aussagt. Im Schrank hängen geschmackvolle Kleider , R ö cke und Blusen in Grau , Schwarz und Braun , nichts , was dazu angetan ist , Aufmerksamkeit zu erregen. Auf dem Nachttisch liegen zwei Bücher. Eins davon ist die Bibel. Das andere ist eine Sammlung der Gedichte Lord Byrons. Es gibt keine F o tos von Familie oder Freunden. Keine Bilder oder Skizzen –ungewöhnlich für eine Künstlerin. Es ist , als wäre Miss McChennmine von nirgendwo g e kommen und gehöre zu niemandem.
Ich bin schon im Begriff zu gehen , da erblicke ich ihn: den Handkoffer , den Miss McChennmine in der Nacht ihrer A n kunft unbedingt selbst tragen wollte. Dort liegt er , direkt unter dem Bett.
Nein. Ich darf nicht. Es wäre nicht richtig.
Leise schließe ich die Tür und ziehe den Koffer aus seinem Versteck. Er hat ein Schnappschloss. Wahrschei n lich ist es versperrt und die Sache somit erledigt. Meine Finger drücken zitternd das Schloss , das zu meiner Übe r raschung ganz leicht aufspringt. Der Inhalt des Koffers ist spärlich: eine Reklame für eine Buchhandlung , die Go l dene Dämmerung , in London. Ein seltsamer Ring aus Gold und blauem Email mit zwei i n einander verschlu n genen Schlangen. Schreibpapier und ein Federmäppchen.
Ein Zettel fällt heraus und rutscht unter das Bett. Erschr o cken lasse ich mich auf alle viere nieder , um ihn zu suchen. Ich strecke meine Hand unter die Bettkante und ziehe ihn heraus. Es ist eine Liste: Miss Farrow ’ s Akademie für Mä d chen. MacKenzie-Mädchenschule in Schot t land. Königliches College von Bath. Sankt Viktoria. Spence-Akademie für junge Damen. Alle sind durchgestrichen , mit Ausnahme von Spe n ce. So gut ich kann , schiebe ich den Zettel in das Fach zurück , hoffentlich unauffällig , und verstaue den Koffer wohlbehalten wieder unter dem Bett.
»Wenn Sie das unter nicht trödeln verstehen , Miss Doyle , dann möchte ich nicht sehen , wie Sie sich im Schneckente m po bewegen« , tadelt mich Miss McChennmine , als ich z u rückkomme.
Jetzt erscheint es mir ganz unvorstellbar , dass Miss McChennmine und ich jemals Freundinnen werden kön n ten. Sie schlüpft rasch in den neuen Handschuh und zuckt zusa m men , als sie ihn über ihre verletzte Hand zieht.
»Es tut mir leid« , sage ich zum wiederholten Mal.
»Nun ja , versuchen Sie , in Zukunft vorsichtiger zu sein , Miss Doyle« , knurrt sie mit ihrem seltsamen Akzent.
»Ja , Miss McChennmine« , sage ich und kann ein Gä h nen nicht unterdrücken. Miss McChennmine quittiert meine U n höflichkeit mit einem missbilligenden Blick. »Verzeihen Sie. Ich habe nicht gut geschlafen.«
»Sie brauchen mehr Bewegung. Reichlich Bewegung an der frischen Luft
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