Der Geheimnisvolle Eremit
jetzt zweifle ich, ob er je zurückkommen wird.«
»Dann glaubt Ihr«, sagte Hugh, »daß er dieser Brand ist?«
»Das kann ich nicht sagen, aber ich sah, daß er es sein konnte. Und als er gestern abend nicht zurückkam, war ich meiner Sache recht sicher. Es gehört nicht zu meinen Pflichten, einen Mann seiner Sühne zuzuführen; das ist allein die Angelegenheit Gottes. Ich war froh, daß ich weder ja noch nein sagen konnte, und ich war froh, daß er sich hier nicht blicken ließ.«
»Wenn er einfach nur Wind von der Suche nach ihm bekommen und sich versteckt hätte«, meinte Cadfael, »dann wäre er inzwischen zu Euch zurückgekehrt. Der Mann, der ihn jagte, brach unverrichteter Dinge wieder auf, und wenn ein zweiter Besuch drohte, dann konnte der Junge noch einmal verschwinden. Er wußte ja, daß Ihr ihn nicht verraten würdet.
Wo wäre er sicherer als bei einem heiligen Einsiedler? Und dennoch ist er nicht gekommen.«
»Aber nun erzählt Ihr mir«, wandte Cuthred ernst ein, »daß sein Herr tot ist – falls dieser Mann wirklich sein Herr war. Tot durch Mord! Nehmen wir an, mein Diener Hyacinth bekam Wind von Bosiets Kommen und tat mehr, als sich nur zu verstecken.
Nehmen wir an, er hielt es für besser, sich in den Hinterhalt zu legen und ein für alle Mal die Suche zu beenden. Nein, ich glaube nicht, daß ich Hyacinth je wiedersehen werde. Wales ist nicht weit, und selbst ein Fremder ohne Verwandte kann dort eine Arbeit finden, wenn sie auch wahrscheinlich beschwerlich sein wird. Nein, er wird nicht zurückkommen. Er wird nie zurückkehren.«
Es war ein unpassender Augenblick, um die Gedanken wandern zu lassen, als hätte ein Winkel seines Bewußtseins in der Erinnerung mehr aus einem gewissen Augenblick gemacht, als ihm in jenem Augenblick selbst klar gewesen war. Cadfael dachte jedoch plötzlich an Annet, die strahlend und freudig erregt mit einem Eichenblatt im wirren Haar das Haus ihres Vaters betreten hatte. Ein wenig errötet und außer Atem, als wäre sie gerannt. Und das nach der Stunde der Komplet, zu einer Zeit, da Drogo von Bosiet schon mehr als eine Meile entfernt ermordet auf dem Weg nach Shrewsbury lag. Zwar hatte Annet die Hühner und die Kuh für die Nacht eingesperrt, wie es ihr aufgetragen war, doch sie hatte lange dazu gebraucht und war mit der Gesichtsfarbe und den strahlenden Augen eines Mädchens gekommen, das von ihrem Geliebten zurückkehrt. Und hatte sie nicht die Gelegenheit ergriffen, ein gutes Wort für Hyacinth einzulegen, und hatte sie sich nicht gefreut, als auch ihr Vater ihn pries?
»Wie ist nun dieser junge Mann zu Euch gekommen?« fragte Hugh. »Und warum habt Ihr ihn in den Dienst genommen?«
»Ich war auf dem Weg von St. Edmundsbury, nachdem ich den Augustinerkonvent in Cambridge besucht hatte. Ich blieb zwei Nächte in der Priorei in Northampton. Er war unter den Bettlern am Tor. Obwohl er völlig gesund und jung schien, war er schäbig und ungekämmt, als hätte er draußen im Wald gelebt. Er erzählte mir, sein Vater sei enteignet worden und gestorben, und er habe weder Verwandte noch Arbeit. Aus Mitgefühl gab ich ihm Kleidung und nahm ihn als Diener auf.
Denn sonst wäre er gewiß herabgesunken und hätte als Dieb oder Bandit seinen Lebensunterhalt verdient. Und er war folgsam und gehorsam, und ich hielt ihn für dankbar, was er wahrscheinlich wirklich war. Doch nun mag alles eine Täuschung sein.«
»Und wann seid Ihr ihm dort begegnet?«
»Es war Ende September. Den genauen Tag weiß ich nicht mehr.«
Zeit und Ort paßten nur allzugut. »Wie ich sehe, muß ich mich jetzt mit einer Menschenjagd beschäftigen«, meinte Hugh bekümmert. »Ich muß nach Shrewsbury zurückkehren und die Hunde auf die Fährte setzen. Denn ob der Junge ein Mörder ist oder nicht, ich habe jetzt keine andere Wahl mehr, als ihn zu finden.«
7. Kapitel
Bruder Jerome hatte ebenso häufig wie wortgewandt seine Ansicht zum Ausdruck gebracht, daß Bruder Paul viel zu nachgiebig mit seinen jungen Schutzbefohlenen, den Novizen und den Kindern, umgehe. Es war Pauls Art, seiner Aufsichtspflicht außer beim Unterricht so unaufdringlich wie möglich nachzukommen, auch wenn er jederzeit bereit war, aus dem Hintergrund hervorzutreten, sobald einer der Jungen ihn brauchte. Doch Routineangelegenheiten wie ihre Reinlichkeit, ihr ordentliches Benehmen bei Tisch, der Zeitpunkt ihrer Nachtruhe und ihres Aufstehens am Morgen, blieben im Vertrauen auf die Pünktlichkeit und Sauberkeit, die sie
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