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Der Geheimnisvolle Eremit

Der Geheimnisvolle Eremit

Titel: Der Geheimnisvolle Eremit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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gestürmt.
    »Was muß ich da hören, Herr? Das kann doch nicht wahr sein! Richard wird vermißt?«
    »Es ist wahr, Madam«, antwortete Hugh und beobachtete sie genau und unbeeindruckt von der Tatsache, daß er zu ihr aufblicken mußte, was er übrigens auch hätte tun müssen, wenn sie die Stufen zu ihm heruntergekommen wäre, da sie größer war als er. »Er ist seit vorgestern abend aus der Abteischule verschwunden.«
    Sie hob mit einem empörten Schrei die geballten Fäuste.
    »Und ich erfahre erst jetzt davon! Seit zwei Tagen verschwunden! Ist das die Art, wie man dort auf Kinder achtgibt? Und das sind die Leute, die mir mein eigen Fleisch und Blut verweigern! Ich mache den Abt für alles verantwortlich, was meinem Enkelsohn zustößt. Er trägt die ganze Schuld. Und was tut Ihr, Herr, um das Kind wiederzufinden? Ihr sagt mir, er werde seit zwei Tagen vermißt, und doch kommt Ihr jetzt erst, um es mir zu sagen…«
    Das kurze Schweigen, das darauf folgte, trat nur ein, weil sie Atem schöpfen mußte. Sie stand mit blitzenden Augen auf der Treppe, groß, mit ergrautem Haar und stattlich, das lange, edle Gesicht vor Wut gerötet. Hugh nutzte die Stille schamlos aus, solange sie dauerte, denn sie würde nicht lange dauern.
    »War Richard hier?« fragte er unumwunden und forderte damit einen weiteren Ausbruch heraus.
    Sie holte Luft und starrte ihn mit offenem Mund an. »Hier?
    Nein, er war nicht hier. Wäre ich denn so verzweifelt, wenn er hier wäre?«
    »Ihr hättet zweifellos den Abt benachrichtigt«, meinte Hugh täuschend harmlos, »wenn er zu Euch gerannt gekommen wäre. In der Abtei macht man sich nicht weniger Sorgen um ihn als hier. Er ritt allein und aus eigenem Willen davon. Wo sonst, wenn nicht hier sollten wir zuerst nach ihm suchen? Aber Ihr sagt mir, daß er nicht hier ist und nicht hier war. Und sein Pony ist nicht allein zu den Ställen zurückgekommen?«
    »Das ist es nicht, denn das hätte man mir sofort gesagt.
    Wenn das Pferd ohne Reiter hier angekommen wäre«, erwiderte sie mit bebenden Nasenflügeln, »dann hätte ich alle meine Männer sofort in die Wälder geschickt, um Richard zu suchen.«
    »Meine Männer sind in diesem Augenblick genau damit beschäftigt«, sagte Hugh. »Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr auch Richards Leute aussenden könntet. Je mehr, desto besser. Denn es scheint, als wären wir in eine Sackgasse gelaufen«, fügte er hinzu, immer noch nachdenklich ihr Gesicht beobachtend, »da er auch hier nicht zu finden ist.«
    »Nein«, fauchte sie. »Er ist nicht hier! Und er war nicht hier!
    Aber wenn er, wie Ihr behauptet, aus eigenem Willen aufbrach, dann wollte er sicher zu mir kommen. Und für alles, was ihm unterwegs zustieß, gebe ich Radulfus die Schuld. Er ist nicht in der Lage, ein adliges Kind zu behüten, wenn so etwas geschehen kann.«
    »Das will ich ihm ausrichten«, sagte Hugh nachgiebig und fuhr mit täuschender Freundlichkeit fort: »Es ist meine Pflicht, die Suche nach Richard und nach dem Dieb fortzusetzen, der im Wald von Eyton einen Gast der Abtei tötete. Ihr braucht keine Angst zu haben, Madam, daß meine Suche oberflächlich sein wird. Da ich nicht erwarten kann, daß Ihr täglich jede Ecke des großen Gutes Eures Enkelsohnes in Augenschein nehmt, werdet Ihr mir sicher gern freien Zugang zum ganzen Besitz gewähren, damit ich Euch diese Arbeit abnehmen kann. Ihr wollt sicher Euren Pächtern und Nachbarn ein Beispiel geben.«
    Sie warf ihm einen sehr langen, feindseligen Blick zu und fuhr plötzlich zu John von Longwood herum, der unbeteiligt und ruhig an ihrer Seite stand. Ihre stürmische Bewegung ließ den Saum ihres langen Rockes peitschen wie den Schwanz einer wütenden Katze.
    »Öffnet diesen Soldaten meine Tore. Alle meine Tore! Sie sollen sich vergewissern, daß ich weder einem Mörder Unterschlupf gewähre, noch mein eigen Fleisch und Blut hier verstecke. Laßt alle unsere Pächter wissen, daß es mein Wille ist, daß sie die Suche ebenso bereitwillig über sich ergehen lassen wie ich. Nun, Sheriff«, sagte sie und blickte ungeheuer würdevoll zu Hugh herab, »betretet mein Haus und sucht, wo immer Ihr wollt.«
    Er dankte ihr unbeeindruckt und äußerst höflich, und wenn sie das Funkeln in seinen Augen sah, das um ein Haar ein offenes Lächeln geworden wäre, dann ging sie darüber hinweg.
    Doch sie richtete ihren geraden Rücken noch weiter auf, zog sich mit schnellen, zornigen Schritten in die Halle zurück und überließ ihm die Suche, die

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