Der Geheimnisvolle Eremit
sicher?« Hyacinth hätte in seiner Verblüffung fast vergessen, daß er leise sprechen mußte.
»Ja, Cuthred. Ich bin sicher, ich habe es gehört.«
»Dann hör gut zu, Richard!« Hyacinth legte wieder die Lippen an den Spalt. »Wenn du dich weigerst, werden sie es dir heimzahlen und dich an einen anderen Ort schaffen. Es ist besser, du tust, was sie wollen. Nein, vertrau mir. Tu, was ich sage, es ist der einzige Weg, sie zum Narren zu halten. Glaube mir, du hast nichts zu befürchten, dir wird keine Frau aufgezwungen werden, du wirst völlig sicher sein. Tu nur, was ich sage, sei gehorsam und fügsam und mach sie glauben, sie hätten dich gezähmt. Vielleicht geben sie dir sogar dein Pony und lassen dich zur Abtei reiten, denn wenn sie erst haben, was sie wollen, werden sie glauben, daß es nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Aber das ist möglich! Keine Sorge, sie werden nichts weiter von dir wollen, für Jahre nicht! Vertrau mir und tue es! Wirst du? Sag es mir, rasch, bevor sie kommen!
Willst du es tun?«
Verwirrt und zweifelnd gab Richard schließlich nach. »Ja.«
Trotzdem protestierte er im nächsten Augenblick schon wieder:
»Aber wie kann das sein? Warum, sagst du, ist es sicher?«
Hyacinth preßte die Lippen an den Spalt und antwortete ihm flüsternd. Als Richard seine Worte mit einem kurzen, befreiten Lachen aufnahm, wußte Hyacinth, daß der Junge verstanden hatte. Und gerade rechtzeitig, denn er hörte, wie die Tür entriegelt und aufgerissen wurde. Und dann sprach Frau Dionisia zuckersüß und gallbitter, halb schmeichelnd und halb drohend, mit fester, lauter Stimme: »Deine Braut ist eingetroffen, Richard. Hier ist Hiltrude. Und du wirst höflich und freundlich mit ihr sein, nicht wahr, wie wir es von dir erwarten?«
Richard war anscheinend beim ersten Geräusch an der Türe vom Fenster fortgeschossen, denn seine leise, vorsichtige Stimme sagte, gerade noch hörbar und einige Meter entfernt:
»Ja, Großmutter!« Gespielt fügsam, widerstrebend gehorsam, mit nur halb gebrochenem Willen, aber die Hälfte sollte reichen!
Seine Großmutter rief befriedigt, aber immer noch vorsichtig:
»Braver Junge!« Dies waren die letzten Worte, die Hyacinth hörte, als er sich vorsichtig über das geneigte Dach hinunterschob und auf den Boden fallen ließ.
Auf dem Rückweg konnte er sich, zufrieden mit seinem nächtlichen Werk, etwas mehr Zeit lassen. Der Junge lebte, war wohlauf und gut versorgt und relativ guter Dinge. Ihm war im Grunde nichts geschehen, und ihm würde auch nichts geschehen, so erzürnt er auch über seine Gefangenschaft war.
Und am Ende würde er über seine Häscher lachen können.
Hyacinth schritt leichtfüßig durch die weiche, kühle Nacht, die vom Duft des aus den Feuchtwiesen steigenden Dunstes und des tiefen, feuchten, fauligen Laubs geschwängert war. Der Mond ging auf, doch durch die Dunstschleier drang nur ein schwaches Licht. Um Mitternacht würde er wohlbehalten in seinem Versteck im Wald von Eyton liegen. Und am nächsten Morgen, Annet würde schon irgendwie dafür sorgen, sollte Hugh Beringar erfahren, wo er Bruder Pauls verlorenen Schuljungen zu suchen hatte.
Als alles vorüber war, nachdem er getan hatte, was sie wollten, wie widerwillig auch immer, hatte Richard mit etwas größerer Dankbarkeit gerechnet und sogar gehofft, daß sie ihn aus der kleinen Kammer, aus seinem Gefängnis, herausließen, so bequem es auch gewesen war. Er war nicht so dumm zu glauben, daß sie ihn sofort freigeben würden. Er mußte noch eine Weile den fügsamen Knaben spielen und das heimliche Funkeln unterdrücken, das in seine Augen kam, wenn er im stillen über sie lachte. Irgendwann aber mußten sie ihn der Welt zurückgeben und mit irgendeiner Geschichte sein Verschwinden und sein Wiederauftauchen erklären; er wußte nicht mit welcher, aber gewiß würden sie alle die Geschichte auswendig wissen. Wahrscheinlich würden sie sagen, daß er aus eigenem Willen an der gerade beendeten Zeremonie teilgenommen habe. Ihrer Meinung nach war es ja dann für ihn viel zu spät, noch das Gegenteil zu behaupten, da sich nicht rückgängig machen ließ, was einmal geschehen war. Nur Richard wußte, daß in Wirklichkeit nichts geschehen war. Er vertraute fest auf Hyacinth. Was Hyacinth gesagt hatte, mußte einfach die Wahrheit sein.
Jedenfalls hatte er damit gerechnet, daß sie ihm für seine Fügsamkeit dankten und ihn belohnten. Er hatte sein düsteres aber braves Gesicht beibehalten, weil
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