Der Geheimnisvolle Eremit
verriegelt, weil es dort einen Gast gab, der eingesperrt bleiben mußte.
Hyacinth war nicht sicher, ob der Platz zwischen den steinernen Fensterpfosten ausreichte, um einen Mann hindurchzulassen, aber für einen zehnjährigen Jungen, der noch dazu für sein Alter etwas schmächtig war, mochte die Lücke groß genug sein. Sie hatten die Läden verschlossen, weil direkt unter dem Fenster das niedrige Dach lag. Weder sollte er auf diesem Wege fliehen noch sollte ihn ein neugieriges Auge dort drinnen entdecken können.
Es war einen Versuch wert. Hyacinth sprang hoch, um die überhängende Traufe zu fassen, und zog sich auf die Dachschindeln hinauf. Dann preßte er sich flach an die Steinmauer und lauschte, aber er hatte keinen Lärm gemacht und niemand war aufmerksam geworden. Er zog sich vorsichtig das schräge Dach bis zum verriegelten Fenster hinauf. Die Läden waren schwer und massiv und irgendwie von innen versperrt, denn als er eine Hand darunterschob und versuchte, sie aufzuklappen, ließen sie sich nicht bewegen, und er hatte kein Werkzeug dabei, um sie mit Gewalt aufzubrechen. Die Scharniere waren stark und gaben nicht nach, Oberkante und Unterkante der Läden ließen sich nicht bewegen.
Wahrscheinlich wurden sie innen von eisernen Bolzen gehalten, die zusätzlich gesichert waren. Und die Zeit wurde knapp. Richard hatte einen starken Willen, er war störrisch und erfinderisch. Wenn es möglich gewesen wäre, aus diesem Gefängnis zu fliehen, dann hätte er es schon lange getan.
Hyacinth legte das Ohr an den schmalen Spalt zwischen Mauer und Fensterladen, doch er hörte nichts. Er mußte sich vergewissern, daß er keine Zeit verschwendete. Also nahm er die Gefahr in Kauf, entdeckt zu werden, und klopfte mit dem Knöchel gegen den Fensterrahmen. Dann legte er die Lippen an das winzige Lichtauge und stieß einen schrillen Pfiff aus.
Jetzt hörte er irgendwo im Raum jemand keuchen, dann einige schnelle Geräusche, als wäre jemand, der verzweifelt in einer Ecke gehockt hatte, rasch aufgestanden. Füße tappten über den Boden, dann hielten sie inne. Hyacinth klopfte noch einmal und rief leise durch das Loch: »Richard, bist du das?«
Nun kamen die leichten Schritte ganz heran, und ein kleiner Körper drängte sich von innen gegen die Läden. »Wer ist da?« flüsterte Richard drängend, den Mund an den Spalt gepreßt.
»Wer ist da?«
»Hyacinth! Richard, bist du allein? Ich kann nicht hineinkommen. Bist du wohlauf?«
»Nein!« zischte die Stimme empört und verriet damit, daß der Besitzer voller Tatkraft und in ausgezeichneter Verfassung war.
»Die wollen mich nicht rauslassen, sie reden auf mich ein, daß ich mich ihnen fügen und heiraten soll. Sie bringen sie heute abend her, sie wollen mich…«
»Ich weiß«, sagte Hyacinth stöhnend, »und ich kann dich nicht herausholen. Wir haben keine Zeit mehr, den Sheriff zu benachrichtigen. Morgen hätten wir leichtes Spiel, aber ich habe sie vorhin schon kommen gesehen.«
»Sie wollen mich erst freilassen, wenn ich tue, was sie wollen«, flüsterte Richard zitternd vor Wut durch den Spalt. »Ich habe schon beinahe zugesagt. Sie haben auf mich eingeredet, und ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich habe Angst, sie schaffen mich fort und verstecken mich woanders, wenn ich mich weigere, denn sie wissen, daß alle Häuser durchsucht werden.« Nun verlor seine Stimme ihren kriegerischen, kühnen Ton. Verzweiflung machte sich breit. Es fällt einem zehnjährigen Jungen schwer, gegenüber unerbittlichen Erwachsenen, die ihn in der Hand haben, seine Position zu behaupten. »Meine Großmutter versprach, daß ich bekommen soll, was immer ich will, wenn ich sage, was sie hören will. Aber ich will nicht heiraten…«
»Richard… Richard…« Hyacinth versuchte mehrmals, das Klagelied des Jungen zu unterbrechen. »Hör zu, Richard! Sie müssen einen Priester mitbringen, um dich zu verheiraten – und es wird nicht Vater Andrew sein, denn der wird Skrupel haben. Es muß ein anderer Priester sein. Sprich mit ihm und sage ihm, daß du gegen deinen Willen verheiratet werden sollst, sage ihm – Richard, weißt du schon, wer es sein soll?«
Ein neuer, sehr interessanter Gedanke war ihm in den Sinn gekommen. »Wer soll die Trauung vornehmen?«
»Ich habe sie darüber reden gehört«, flüsterte Richard, der allmählich ruhiger wurde. »Sie haben gesagt, daß sie Vater Andrew nicht trauen können. Meine Großmutter bringt den Einsiedler mit.«
»Cuthred? Bist du
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