Der Geheimnisvolle Eremit
es zu verräterisch gewesen wäre, sie sein innerliches Gelächter sehen zu lassen.
Er hatte die Worte wiederholt, die sie ihm vorgesagt hatten, und hatte es sogar über sich gebracht, Hiltrudes Hand zu nehmen, als man dies von ihm verlangte. Doch er hatte ihr keinen einzigen Blick geschenkt, bis ihre leise, resignierte Stimme, die ebenso trostlos die Worte wiederholte wie er selbst, ihn auf die Idee brachte, daß sie genau wie er zu dieser Eheschließung gezwungen worden war. Darauf war er bisher noch nicht gekommen und so warf er ihr einen verstohlenen Blick zu. Sie war eigentlich doch noch nicht so alt und auch nicht sehr groß, und sie schien jetzt weniger eine Bedrohung, viel eher wie er selbst ein Opfer zu sein. Vielleicht war sie sogar ganz ansehnlich, wenn sie nicht so eingeschüchtert und düster war wie jetzt. Sein plötzliches Mitgefühl wurde gedämpft, als er etwas empört erkannte, daß sie womöglich etwas dagegen hatte, ihn zu heiraten.
Doch nachdem er sich gefügt hatte, vernahm er kein Wort des Dankes. Vielmehr musterte seine Grußmutter ihn vielsagend und lange, und er bemerkte verängstigt einen Rest von Mißtrauen in ihren Augen. Dann ermahnte sie ihn böse:
»Dein Glück, daß du endlich deine Pflicht getan und dich denen gegenüber, die am besten wissen, was gut für dich ist, richtig verhalten hast. Vergiß das nicht, junger Herr. Und jetzt sage gute Nacht zu deiner Frau. Morgen sollst du sie besser kennenlernen.«
Und er hatte getan, wie sie ihm befohlen hatte, und sie hatten ihn, immer noch eingesperrt, allein zurückgelassen. Nach einer Weile hatte ein Diener etwas von dem Essen heraufgebracht, das sie jetzt zweifellos unten in der Halle genossen. Er saß brütend auf dem Bett, bedachte alles, was schon an diesem einzigen Abend geschehen war, und fragte sich, was am nächsten Tag folgen mochte. Hiltrude vergaß er, sobald sie außer Sichtweite war. Er wußte, wie man es bei diesen Dingen hielt. Wenn man erst zehn Jahre alt war, durfte man aus irgendeinem Grund nicht mit seiner Frau leben; das durfte man erst, wenn man erwachsen war. Wenn sie einmal unter dem gleichen Dach nächtigte, mußte man höflich und aufmerksam zu ihr sein, doch dann kehrte sie mit ihrem Vater in ihr Haus zurück, bis man alt genug war, Bett und Haus mit ihr zu teilen.
Nun, da er ernsthaft darüber nachdachte, schien es Richard, daß mit der Heirat überhaupt keine Vorteile verbunden waren.
Seine Großmutter würde ihn wie bisher als Kind behandeln, das nicht weiter zählte. Sie würde ihn herumscheuchen, ihn schelten und ihm Ohrfeigen geben und ihn sogar schlagen, wenn er sie erzürnte oder ihr trotzte. Kurz gesagt schien es dem Herrn von Eaton angebracht, seine Freiheit auf jedem denkbaren Weg zurückzugewinnen und sich ihrer Hand zu entziehen. Er war jetzt nicht mehr wichtig für sie, er hatte seinen Zweck erfüllt, und die Übereinkunft über das Land war getroffen. Wenn sie glaubte, daß damit alles erledigt sei, würde sie ihn bald wieder gehen lassen.
Richard rollte sich in seine Decken ein, um zu schlafen.
Wenn sie unten in der Halle überlegten und stritten, was nun mit ihm zu tun sei, dann störte ihn dies nicht in seinen Träumen.
Er war zu jung und hegte zu viele unschuldige Hoffnungen, um seine Probleme mit in den Schlaf zu nehmen.
Am nächsten Morgen war seine Tür immer noch verriegelt, und der Diener, der sein Frühstück brachte, ließ ihm keine Chance, hinauszuschlüpfen. Richard hatte auch keine derartige Absicht, denn er wußte genau, daß er nicht weit kommen würde. Er mußte noch eine Weile fügsam bleiben und das verbliebene Mißtrauen abbauen. Als seine Großmutter die Tür entriegelte und zu ihm hereinkam, geschah es eher aus alter Gewohnheit denn aus Schuldbewußtsein, daß er, wie er es gelernt hatte, bei ihrem Eintreten aufstand und ihr die Wange zum Kuß bot. Der Kuß war nicht kühler als früher, und einen Augenblick lang spürte er sogar die Wärme, die jedes Kind spürt, wenn sich ein älterer Verwandter ihm zuwendet. Die Berührung ließ ihn erzittern und trieb ihm die Tränen in die Augen, während er innerlich weit zurückwich. Doch sie verstand nicht, was in ihm vorging. Sie blickte hoheitsvoll und etwas milder gestimmt auf ihn hinab.
»Nun, junger Herr, wie geht es dir heute morgen? Willst du ein braver Junge sein und mir gehorchen? Wenn ja, dann werden wir zwei gut zurechtkommen. Du hast einen Anfang gemacht, und nun fahre fort, wie du begonnen hast. Und schäm dich
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