Der Geheimnisvolle Eremit
Anklage vorgebracht wird, hat das Recht, für sich selbst zu sprechen und den Gegenbeweis anzutreten. Ich werde morgen früh selbst zur Klause reiten und den Einsiedler fragen, ob er ein Priester ist oder nicht und wer ihn wann und wo geweiht hat. Diese Dinge können und müssen bewiesen werden. Es liegt sicher auch in Eurem Interesse, mein Herr, herauszufinden und ein für alle Mal zu klären, ob diese Eheschließung gültig war. Allerdings muß ich Euch warnen«, fügte er fest hinzu, »daß die Ehe, da sie offenbar nicht vollzogen wurde, auch dann aufgelöst werden kann, wenn sie gültig ist.«
»Versucht es nur«, gab Astley zurück, der allmählich seine Fassung wiedergewann, »und wir werden mit allen Mitteln dagegen angehen. Doch ich bin ebenfalls der Meinung, daß die Wahrheit ans Licht gebracht werden muß. Wir müssen jeden Zweifel ausräumen.«
»Seid Ihr dann bereit, morgen früh direkt nach der Prim mit mir zur Einsiedelei zu gehen? Ich halte es für angebracht, daß wir beide anhören, was Cuthred zu sagen hat. Ich bin mir wohl bewußt«, sagte er einlenkend, nachdem er die Folgen von Richards Ausbruch gesehen hatte, »daß Ihr fest überzeugt wart, daß der Mann tatsächlich ein Priester war und das Recht hatte, die Ehe-und Sterbesakramente zu spenden. Dies steht nicht in Frage. Richard hat Grund, das Gegenteil zu glauben.
Nun laßt uns die Wahrheit finden.«
Dagegen konnte Astley nichts weiter sagen, und Cadfael hatte den Eindruck, daß er keineswegs gewillt war, dieser Prüfung auszuweichen. Der Gedanke, daß er getäuscht worden sein könnte, hatte ihn gewiß sehr erschreckt, und er wollte sich von jedem Zweifel befreien. Allerdings machte er einen weiteren Versuch, den Jungen wieder in seine Gewalt zu bekommen. Er legte Richard eine Hand auf die Schulter. »Ich werde zu dem Treffen kommen«, sagte er, »und sehen, wie dieses verführte Kind widerlegt wird. Aber an diesem Abend ist er nach wie vor mein Sohn und muß mit mir kommen.«
Die Hand griff nach Richards Arm, aber der Junge fuhr zurück und riß sich los. Bruder Paul konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er stürmte aus der Reihe der starrenden Brüder hervor und zog den Ausreißer an seine Seite.
»Richard bleibt hier«, entschied Radulfus energisch. »Sein Vater vertraute ihn mir an, und es gibt für mich keine zeitliche Begrenzung seines Aufenthaltes bei uns. Aber wessen Schwiegersohn und wessen Ehemann das Kind ist, das müssen und werden wir prüfen.«
Fulke lief vor unterdrückter Wut purpurn an. Er war nahe daran gewesen, den fortgelaufenen Jungen zu schnappen, und sah sich nun um seine Beute betrogen. Zugleich wurden seine und Dionisias Pläne mit den Ländereien gefährdet. Er wollte nicht ohne weiteres nachgeben.
»Ihr nehmt viel auf Euch, Ehrwürdiger Abt«, begann er, »wenn Ihr, der Ihr keine Blutsbande zu ihm habt, seinen Verwandten ihre Rechte verweigert. Ich glaube fast, auch Ihr habt etwas mit seinen Ländereien und seinem Besitz im Sinn, wenn Ihr ihn hier behaltet. Ihr wollt nicht, daß der Junge heiratet. Er soll hier Eure Schule besuchen, bis er die Außenwelt nicht mehr kennt und gezähmt sein Noviziat beginnt, damit Eurem Haus sein Erbe zufällt…«
Er wurde derart vom Schwung seiner Anklage mitgerissen, und alle Anwesenden erschraken so sehr über seine Unverschämtheit, daß niemand den Neuankömmling am Torhaus bemerkte. Aller Augen ruhten auf Astley, alle hatten erstaunt die Münder aufgerissen. Unterdessen hatte Hugh sein Pferd am Tor angebunden und war zu Fuß und fast geräuschlos herangekommen. Er hatte gerade zehn Schritte in den Hof hinein getan, als sein Blick zuerst auf das graue Pferd und das schwarze Pony fiel, deren Mäuler nach dem hastigen Ritt von trocknendem Schaum verkrustet waren. Ein Knecht hielt beide Pferde; auch er starrte zur Gruppe hinüber, die im Bogen des Kreuzganges stand. Hugh folgte dem faszinierten Starren des Mannes und nahm mit einem Blick das fesselnde Schauspiel in sich auf: Abt und Fulke Astley von Angesicht zu Angesicht und offenbar im Streit, während Bruder Paul schützend den Arm um die Schultern eines kleinen, drahtigen, schmutzigen und zerzausten Jungen gelegt hatte, der mit großen Augen, halb erschreckt und halb trotzig, die Ereignisse verfolgte.
Radulfus, der die Anklagen mit verächtlichem Schweigen aufgenommen hatte, bemerkte den Neuankömmling als erster.
Er blickte über den Kopf seines Gegenspielers hinweg, was angesichts seiner Größe nicht schwer war,
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