Der Geheimnisvolle Eremit
später in der Mußestunde vor der Collatio.
Bruder Paul führte unterdessen sein wiedergefundenes Lamm fort, um es zu waschen und ansehnlich herzurichten, damit es nach dem Abendessen vor Abt und Sheriff treten konnte.
Aymer Bosiet, der mit einer etwas boshaften Befriedigung die Sorgen eines anderen als willkommene Ablenkung von den eigenen betrachtet hatte, entfernte sich mürrisch und ging über den großen Hof zum Gästehaus. Als Cadfael sich noch einmal umsah, bemerkte er, daß einer fehlte. Rafe von Coventry war nirgends zu entdecken, und als Cadfael darüber nachdachte, fiel ihm auf, daß der Mann sich offenbar schon eine ganze Weile vor dem Ende der peinlichen Szene entfernt hatte. Weil er kein Interesse an ihr hatte und durchaus fähig war, sich von einem Schauspiel abzuwenden, das die meisten Menschen in Bann hielt? Oder hatte ihn die Szene auf etwas gebracht, das ihn sehr interessierte und zu sofortigem Handeln nötigte?
Fulke Astley stand zögernd Auge in Auge mit Hugh und schien unsicher, ob er es mit Erklärungen und Rechtfertigungen versuchen oder sich – falls man ihm dies erlaubte – einfach zurückziehen sollte.
»Also morgen, Herr«, sagte er und entschied sich für Knappheit. »Ich werde wie versprochen zu Cuthreds Einsiedelei kommen.«
»Gut! Und es scheint mir geraten«, antwortete Hugh, »daß Ihr der Gönnerin des Einsiedlers berichtet, was gegen ihn vorgebracht wird, denn sie mag den Wunsch haben, selbst zugegen zu sein. Im Augenblick, mein Herr, brauche ich Euch nicht mehr. Und sollte ich Euch noch einmal brauchen, weiß ich, wo ich Euch finden kann. Möglicherweise habt Ihr allen Grund, froh zu sein, daß Richard Euch entkam, denn ein wiedergutgemachtes Unrecht ist schnell vergessen.
Vorausgesetzt natürlich, es wird kein weiteres Unrecht in Erwägung gezogen.«
Fulke machte das Beste aus der Situation. Nach einem kurzen Gruß zum Abt drehte er sich um, nahm sein Pferd, stieg auf und ritt betont gemessen und eindrucksvoll langsam zum Tor hinaus.
Bruder Cadfael, der auf Hughs ausdrücklichen Wunsch eingeladen worden war, nach dem Abendessen am Gespräch in den Gemächern des Abtes teilzunehmen, bog, einem plötzlichen Impuls folgend, von seinem Weg ab und betrat den Stallhof. Richards schwarzes Pony stand, nach dem anstrengenden Ritt gestriegelt, getränkt und gefüttert, zufrieden und behaglich in seinem Verschlag. Doch der große Braune mit der weißen Blesse auf der Stirn war samt Sattel und Zaumzeug verschwunden. Was auch immer der Grund für seinen stillen Abgang war, Rafe von Coventry war in seinen eigenen Geschäften unterwegs.
Richard saß vor den Knien des Abtes auf einem niedrigen Schemel, gewaschen und gebürstet und einigermaßen dankbar, wieder daheim zu sein. Er erzählte seine Geschichte oder jedenfalls so viel, wie er für angebracht hielt. Er hatte sehr interessierte Zuhörer. Außer dem Abt waren Hugh Beringar, Bruder Cadfael und Bruder Paul zugegen, der seinen wiedergefundenen Schützling keinen Moment aus den Augen lassen wollte. Richard hatte sogar mit einem gewissen Genuß das Schütteln, Abreiben und Schrubben über sich ergehen lassen, bis er einigermaßen wiederhergestellt vor die Augen des Abtes treten konnte. Seine Geschichte hatte einige Lücken, und er wußte, daß man entsprechende Fragen stellen würde, doch Radulfus war von edler Geburt. Er würde verstehen, daß ein Edelmann nicht jene verraten konnte, die ihm geholfen hatten, und nicht einmal gewisse Dienstboten, die auf Drängen ihrer Herren einen Schaden angerichtet hatten.
»Würdest du die beiden wiedererkennen, die dich ergriffen und nach Wroxeter gebracht haben?« fragte Hugh.
Richard dachte einen Augenblick an die Aussicht, sich an dem frechen jungen Burschen zu rächen, der einmal über seinen Widerstand gelacht und ihn dann auch noch am Überqueren der Furt gehindert hatte, doch er verwarf den Gedanken als Laune, die für ihn als Adligen unwürdig war.
»Ich bin nicht ganz sicher. Es war schon dunkel.«
Sie bohrten nicht weiter. Statt dessen fragte der Abt: »Hat dir jemand bei deiner Flucht aus Leighton geholfen? Du bist wohl kaum ganz allein ausgebrochen, denn sonst hättest du es schon lange vorher getan.«
Diese Frage zu beantworten, stellte ihn vor ein Problem.
Wenn er die Wahrheit berichtete, drohte Hiltrude von seinen Freunden hier gewiß kein Nachteil, doch wenn die Wahrheit ihren Vater erreichte, konnte ihr einiges blühen. Es war besser, bei der Geschichte zu bleiben, die
Weitere Kostenlose Bücher