Der Geheimnisvolle Eremit
sie erzählt haben mußte, nämlich daß die Tür versehentlich unverriegelt geblieben und er aus eigener Kraft geflohen war. Cadfael bemerkte die leichte Röte, die den Jungen in die sauber geriebenen Wangen strömte, als er diesen Teil seines Abenteuers ausgesprochen knapp und bescheiden berichtete. Wäre es die Wahrheit gewesen, hätte er ausführlicher gesprochen.
»Er hätte wissen sollen, was für einen schlüpfrigen Fisch er gefangen hatte«, warf Hugh lächelnd ein. »Aber du hast uns immer noch nicht erzählt, warum du die Abtei verlassen hast und wer dir erzählt hat, daß der Einsiedler gar nicht der Priester ist, der er zu sein behauptet.«
Das war der entscheidende Punkt, über den Richard die ganze Zeit mit ungewohnter Konzentration und Mühe nachgedacht hatte, während er Bruder Pauls liebevollen und reinigenden Aufmerksamkeiten ausgesetzt war. Er blickte zuerst besorgt zum Abt und dann zu Hugh, dessen Reaktionen als Vertreter der weltlichen Macht weniger berechenbar waren.
Er sagte ernsthaft: »Vater, ich sagte, daß ich es Euch erzählen würde, aber es soll niemand außer Euch zugegen sein. Es gibt jemand, dem ein Schaden drohen könnte, wenn ich es erzähle, was ich über ihn weiß, und ich weiß, daß er es nicht verdient hat. Ich kann ihn nicht in Gefahr bringen.«
»Ich will dich nicht veranlassen, deine Treue zu irgend jemanden zu brechen«, erwiderte Radulfus ernst. »Morgen werde ich selbst deine Beichte anhören, und dann sollst du es mir sagen und zufrieden sein, daß du richtig gehandelt hast, und dein Vertrauen soll ernst genommen werden. Und nun gehst du am besten zu Bett, denn ich glaube, du brauchst jetzt Schlaf. Nehmt ihn mit, Paul!«
Richard, froh, so leicht davongekommen zu sein, verabschiedete sich in aller Form. Doch als er an Hugh vorbeikam, zögerte er und blieb stehen; offensichtlich war ihm noch etwas in den Sinn gekommen.
»Mein Herr, Ihr sagtet, alle in Leighton hätten behauptet, ich sei nie dort gewesen, denn natürlich hatten sie Angst, etwas anderes zu sagen. Aber hat Hiltrude dies auch behauptet?«
Hugh konnte schneller als die meisten anderen Menschen zwei und zwei zusammenzählen, doch wenn er dies hier tat, so gab er es äußerlich nicht zu erkennen. Mit gemessenem Ernst und undurchdringlichem Gesicht antwortete er: »Die Tochter Astleys? Mit ihr habe ich überhaupt nicht gesprochen, sie war nicht im Haus.«
Nicht im Haus! Damit sie nicht lügen mußte. Sie hatte sich heimlich davongestohlen, sobald ihr Vater aufgebrochen war.
Richard sagte froh und dankbar gute Nacht und ging mit leichtem Herzen zu Bett.
»Natürlich hat sie ihn hinausgelassen«, sagte Hugh, sobald sich die Tür hinter dem Jungen geschlossen hatte. »Sie war ebenso ein Opfer wie er. Allmählich erkenne ich die Zusammenhänge. Richard wird ergriffen, als er durch den Wald von Eyton zurückreitet, und was gibt es da im Wald von Eyton außer Eilmunds Hütte und der Einsiedelei? Und wir wissen, daß er nicht in der Einsiedelei war. Und wer kommt heute mittag nach Shrewsbury und schickt mich stehenden Fußes nach Leighton, wohin ich sonst erst morgen gegangen wäre?
Eilmunds Tochter. Sie hat mir nicht erzählt, woher sie es wußte.
Ein Dörfler hätte einen Jungen gesehen, auf den Richards Beschreibung paßte. Und auch Richard will nicht sagen, warum er allein das Kloster verließ, und auch nicht, wer ihm sagte, daß der Einsiedler kein richtiger Priester ist. Vater, es scheint mir, als hätte jemand – wir wollen nicht so weit gehen, ihm einen Namen zu geben – sehr gute Freunde, die auch uns bekannt sind. Ich hoffe nur, daß ihr Urteil richtig ist. Nun, morgen wird es jedenfalls keine Jagd geben. Richard ist wohlbehalten wieder bei Euch, und um die Wahrheit zu sagen, ich bezweifle, daß der zweite Flüchtige sich fassen läßt. Was wir morgen früh zu tun haben, steht fest. Wir wollen uns zuerst darum kümmern.«
Direkt nach der Prim saßen sie auf und ritten los: Abt Radulfus, Hugh Beringar und Bruder Cadfael, der an diesem Tag ohnehin zu Eilmunds Hütte wollte, um zu sehen, welche Fortschritte die Genesung des Försters machte. Es war keineswegs das erste Mal, daß er seinen Ausgang benutzte, um zugleich auch seine begründete Neugierde zu befriedigen.
Außerdem kam ihm zugute, daß Hugh seinen Plänen stets Vorschub leistete, und schließlich mochte ein zusätzlicher Zeuge mit einem scharfen Blick für die winzigen Veränderungen, durch die ein menschliches Gesicht die Gedanken
Weitere Kostenlose Bücher