Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Alan und sie schwebten mit der Strömung fast anstrengungslos am Bauch der Yongala entlang. Regenbogenmakrelen schwammen an ihrer Seite, so nahe, dass Natascha ihre Hand ausstreckte, um eine zu berühren. Ein Stromstoß schien den Fischkörper zu durchzucken, als er daraufhin abrupt die Richtung änderte. Der Schwarm tat es ihm gleich, kehrte um und verschwand über ihren Köpfen.
Die Schiffsseite wurde schmaler, und Natascha konnte nun das Heck erkennen, umgeben von Myriaden von Fischen. Sie bemerkte, dass die eisernen Hebevorrichtungen der Rettungsboote, die Davits – oder was von ihnen übrig geblieben war –, nicht ausgefahren waren. Ein dichter Schwarm Maori-Lippfische nahm ihr für einen Augenblick die Sicht. Alan und sie waren ein paar Meter aufgestiegen, und als sie nach unten blickte, sah sie einen gigantischen Barsch über dem Ruder schweben. Sie hatte schon von dem legendären Wrackbewohner gehört, hielt seine angeblichen Ausmaße bislang jedoch für stark übertrieben. Jetzt sah sie es mit eigenen Augen: Der Fisch war tatsächlich so groß wie ein Kleinwagen. Eine dicke Kruste Austernschalen schützte den guterhaltenen Schiffsrumpf vor dem vorzeitigen Verfall, nur an einer Stelle war der Schriftzug freigelegt worden. »Yongala«, las Natascha. Alan zeigte auf ein Waschbecken, das wie der Rest des Decks von Korallen überwuchert war. Daneben erkannte Natascha eine bauchige Badewanne, die noch auf ihren Füßen stand. Sie mussten wohl gerade über die erste Klasse hinwegtauchen, denn von Alan wusste sie, dass nur diese den Luxus privater Badezimmer geboten hatte. Weiter vorne ragten zwei Säulen ins Wasser, die, auch dies hatte Alan ihr vor dem Tauchgang verraten, einst den Speisesaal der zweiten Klasse geschmückt hatten. Zahllose Fische knabberten hier und da an dem Bewuchs, und Natascha sah eine Schule von Barrakudas, die im großen Bogen kreisten, immer darauf bedacht, sich den Tauchern mit ihrer bedrohlich aussehenden Längsseite zu präsentieren. Alan deutete auf etwas. Zuerst konnte sie nichts erkennen, doch dann entdeckte sie den mächtigen Oktopus, der zwischen all den Seepocken, Korallen und Schiffsrosten fast verschwand. Sein großes Auge öffnete und schloss sich träge. Natascha hätte sich in dem Bild völlig verlieren können, doch Alan tippte auf ihr Finimeter und sah sie an. Die Luft wurde langsam knapp. Wie in Trance schwamm Natascha zum Seil und hangelte sich langsam nach oben. Den Blick hielt sie dabei nach unten gerichtet; sie wollte sich keine Sekunde dieses einzigartigen Spektakels entgehen lassen.
An Bord hatte die Crew ein leichtes Mittagessen vorbereitet, doch Natascha war noch viel zu aufgedreht, um essen zu können. Sie schälte sich aus der Ausrüstung und trocknete sich kurz ab. Trotz der Hitze zitterte sie. Ein älterer Herr drückte ihr eine Dose Bier in die Hand.
»Schiffstaufe«, sagte er nur, und als sie fragend die Brauen hob, kam er einen Schritt näher. »Das war doch ihr erster Tauchgang zur Yongala, oder etwa nicht?«
»Sieht man mir das etwa an?«
Der ältere Herr hob wie entschuldigend die Hände und nahm einen ordentlichen Schluck. Alan malte mit dem Zeigefinger große Kringel vor ihrem Gesicht in die Luft.
»Du hast da zwei ziemliche Maskenringe. Beim nächsten Mal die Maske nicht mehr ganz so straff ziehen, ja?«, sagte er eher zärtlich als besserwisserisch. Natascha strich sich mit der Handfläche über die Augen und trank von ihrem Bier. Ihr Misstrauen war der Begeisterung für das gerade Erlebte gewichen. Alan schob ihr einen Teller mit Krabben und Nudelsalat rüber.
»Hier, iss was. Es dauert noch eine ganze Weile, bis wir zu Hause sind.«
Natascha schaufelte sich ein paar Gabeln voll in den Mund und spülte mit dem Bier nach. Dann lehnte sie sich zurück, um sich von der Sonne trocknen zu lassen. Wenn das Glück nur aus einzelnen Momenten bestand, dann war dieser hier sicherlich einer davon.
»Und? Hat der Tauchgang deinen Erwartungen entsprochen?« Alan war näher gerückt, seine Hüfte berührte leicht die ihre.
»Das war unglaublich! Die beste halbe Stunde meines Lebens.«
Alan verzog gespielt gekränkt den Mund. »Verstehe. Und wo rangiere ich auf deiner Skala?«
Natascha war froh, die frühere Leichtigkeit im Umgang mit Alan wiedergefunden zu haben. Sie grinste ihn an.
»Du?« Sie spielte Unverständnis. »Ach, das meinst du. Das ist auf einer anderen Zeitskala vermerkt. Ich würde sagen, auf der gehörst du zu den eher besseren
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